Thema: Filmklassiker
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Alt 28.11.2022, 06:51   #323  
Peter L. Opmann
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Über „This is Spinal Tap“ (1984) von Rob Reiner ist nicht leicht zu schreiben. Meistens habe ich etwa fünf Filme im Kopf, wenn ich mich an diesen Thread dransetze, und oft fällt mir dann im letzten Moment noch ein sechster ein. Aber „Spinal Tap“ steht schon ziemlich lange auf meiner Liste, und daher will ich ihn doch endlich mal vorstellen. Ich muß gestehen, auf dieses Werk bin ich erst vor relativ kurzer Zeit (zehn Jahre oder weniger) aufmerksam geworden; es wurde in einer Radiosendung erwähnt. Es war der erste Film von Rob Reiner, und er machte damit etwas, was später als „Mockumentary“ bezeichnet wurde – eine gefälschte Dokumentation zum Zweck der Satire. Reiner arbeitete mit einer Fake-Band zusammen und improvisierte mit ihnen die meisten Szenen, so daß man kaum eine Story erzählen kann. Im Kern wird hier das Rockbusiness als miese Show entlarvt, wobei es nicht so sehr um die Perspektive der betrogenen Fans geht, sondern um die Bemühungen einer mittelmäßigen Band, ihre Karriere über Wasser zu halten.

Diese Band ist „Spinal Tap“, die laut Reiner schon in der Beat-Ära in England gegründet wurde, mehrere Stilwechsel hinter sich hat und sich gegenwärtig (also 1984) als Heavy-Metal-Band verkauft. Reiner eröffnet den Film mit einer Lobrede auf diese angeblich epochale Band, was man natürlich nicht ernst nehmen darf. Der erste Auftritt von „Spinal Tap“ sieht recht überzeugend aus, obwohl zumindest gezeigt wird, daß der mit Ehrlichkeit nichts und mit einstudierten Posen und schlechten Texten fast alles zu tun hat. Zu dieser Zeit kannte man an Heavy Metal noch nicht viel mehr als Black Sabbath oder Iron Maiden. Die Interviews, die Reiner (der sich im Film übrigens Marty DiBergi nennt – nur einer von vielen lächerlichen Namen) mit der Band und einzelnen Mitgliedern führt, zeigen dann schnell, daß bei ihnen von musikalischem Können oder künstlerischem Anspruch keine Rede sein kann.

Mit ihrer neuen Platte „Smell the Glove“ (das entsprechende Covermotiv wird allerdings von der Plattenfirma als sexistisch abgelehnt) begeben sich „Spinal Tap“ auf eine USA-Tournee, wo sie schnell erkennen, daß sie dort kaum bekannt sind und sich hinter etlichen anderen Bands anstellen müssen. Ihr Manager gibt sich alle Mühe, die Moral hochzuhalten, nachdem einige Konzerte infolge von magerem Ticketabsatz abgesagt wurden. Die endgültige Katastrophe bahnt sich schließlich an, als die Freundin des Sängers auftaucht und die Tour mitabsolvieren will. Es gibt sehr viele witzige Details, die Reiner teilweise von tatsächlichen Banderfahrungen übernahm. Es heißt, einige Kinozuschauer waren sich anfangs nicht im Klaren, was sie da vor sich hatten. Manches an der „Dokumentation“ mutet absurd an, aber viele hielten es wohl doch für möglich, daß sie real war.

„This is Spinal Tap“ war in seiner Art vermutlich eine der ersten Mockumentarys. Man könnte jedoch etwa auch Orson Welles legendären „Citizen Kane“ als gefälschte Dokumentation ansehen. Und in Wikipedia werden unter „Mockumentary“ unter anderem auch folgende Rockmusik-Filme aufgezählt: „Yeah Yeah Yeah“ über die Beatles, der Film über die Fake-Beatles-Band The Rutles, „All you need is Cash“, „Leningrad Cowboys go America“, „Fraktus“, aber zum Beispiel auch „The Blair-Witch-Project“, ein Horrorfilm mit angeblich dokumentarischem Filmmaterial. „Forrest Gump“ wies dann die Richtung für Filme, in denen dokumentarische Aufnahmen technisch verändert wurden.

Ich denke, ob man „Spinal Tap“ für komisch hält, hängt mit davon ab, wie sehr man sich für Rockmusik interessiert. Auch wenn ich nie in einer Band gespielt habe, finde ich „This is Spinal Tap“ sehr amüsant. Es gibt jedenfalls eine Menge Rockbands, die beteuern, der Film könnte von ihnen handeln. „Motörhead“ erzählten zum Beispiel, sie seien mal in der Jay-Leno-Show aufgetreten, und jede Band, egal wie schlecht sie ist, verkaufe danach zumindest kurzzeitig mehr Platten. Bei ihnen seien die Verkäufe dagegen nach der Sendung zurückgegangen, manche Käufer hätten sogar Platten in die Läden zurückgebracht (wobei mir diese Erzählung auch ein Fake zu sein scheint). Das alles deutet für mich darauf hin, daß Geschäft und Mythos in der Rockmusik untrennbar miteinander verflochten sind. Es gibt aber auch einen ernsten Aspekt: nämlich wie mit Filmbildern manipuliert werden kann.
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