Thema: Filmklassiker
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Alt 26.11.2022, 08:01   #311  
Peter L. Opmann
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Heute mal ein Film, den man auch als großen Reinfall betrachten kann. Ich mußte erst nachsehen, ob es sich nicht um ein Fernsehspiel handelt, aber „Das Glas Wasser“ (1960) von Helmut Käutner wurde tatsächlich fürs Kino gemacht. Es war das Comeback von Gustaf Gründgens, der seit Kriegsbeginn nur noch auf Theaterbühnen zu sehen gewesen war. Man erlebte ihn kurz darauf aber auch als Mephisto in Peter Gorskis „Faust“, ein Film, der Generationen von Schülern bekannt sein dürfte (wie ich höre, steht der Stoff heute nicht mehr auf dem Lehrplan). Beide Filme sind sehr dem Theater verpflichtet, und jedenfalls „Das Glas Wasser“ enttäuschte deshalb viele Kritiker. Zudem wurde hier ein Stück ausgegraben, das der damaligen Gegenwart (und erst recht der heutigen) nicht allzu viel zu sagen hat. Der Bühnencharakter wurde noch durch stilisierte Kulissen verstärkt. Man hatte von Käutner, einem Regisseur, der sich von den vielen Regiehandwerkern der Nachkriegszeit abhob, etwas anderes erwartet.

Ich finde alle Einwände berechtigt, aber sehe dieses Werk trotzdem gern. Die Vorlage stammt von Eugene Scribe und aus dem Jahr 1840 und behandelt ein Intrigenspiel am englischen Königshof. England und Frankreich sind Anfang des 18. Jahrhunderts wieder einmal im Kriegszustand. Ein französischer Diplomat hält sich in London auf, um doch noch ein Friedensangebot zu unterbreiten, wird aber bei der Königin (Liselotte Pulver) nicht vorgelassen, weil einflußreiche Kräfte (personifiziert von Hilde Krahl als Herzogin) den Krieg vorantreiben wollen. Gründgens spielt einen Publizisten, der gern die Friedensbemühungen fördern würde, dem aber anfangs die Hände gebunden sind, weil Krahl ihn leicht in den finanziellen Ruin stürzen könnte. Dann bekommt er aber Wind von einer Liebesaffäre bei Hofe (Sabine Sinjen und Horst Janson), die ihm helfen kann, das Ohr der Königin zu gewinnen.

Die Herzogin, die ihre Königin von Gründgens‘ Versuchen der Einflußnahme abschirmt, setzt sich nicht ganz uneigennützig für eine schnelle Karriere des schmucken Gardisten Janson ein. Gründgens erfährt jedoch von Sinjen, der eigentlichen Liebe Jansons, daß auch die Königin – eine Frau, die hilflos in die Hofetikette und Krahls Machtspiele verstrickt ist und die Einsamkeit der Macht zu spüren bekommt – heimlich ein Auge auf ihn geworfen hat. Das hilft ihm in der galanten, nichtsdestoweniger gnadenlosen Auseinandersetzung mit Krahl. Er läßt sie im Unklaren darüber, daß Pulver ihre Konkurrentin ist. Das Glas Wasser (vom Titel) zeigt dann an, wer sich alles für Janson interessiert – als das aufgedeckt wird, muß Krahl resignieren und verliert ihren direkten Zugang zur Königin. Gründgens tritt an ihre Stelle und bekommt den Auftrag, Friedensverhandlungen mit Frankreich aufzunehmen. Sinjen, eine Hofdame, darf nun Janson heiraten, weil die Königin melodramatisch verzichtet.

Zugegeben, dieses Bühnenstück hat für unsere Zeit wenig zu sagen; Käutner beschränkt sich sozusagen auf eine gut gemachte Fingerübung. Er wird aber dabei zumindest dem Stück absolut gerecht. Auch die Schauspieler zeigen allesamt makellose Leistungen. Mir kommt „Das Glas Wasser“ wie eine Antwort auf die royalen Rührstücke der 50er Jahre (Romy Schneider!) vor. Es war vielleicht ein notwendiger Schritt von der Vorherrschaft solcher Schmonzetten (auch der unsäglichen Heimat- und Schlagerfilme) hin zu mehr Realismus im deutschen Kino in den 60er Jahren.
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