Thema: Filmklassiker
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Alt 19.11.2022, 08:10   #246  
Peter L. Opmann
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„Die Klapperschlange“ (1981) war für meine Jugendzeit sehr prägend. Kurt Russell war damals eine wunderbare Identifikationsfigur. Leider habe ich diesen Film nie im Kino gesehen, aber schon bald nach Erscheinen beim schon erwähnten Comic Labor auf Video, und zwar mehrmals. Vor kurzem habe ich mir das Werk auch mal mit meinen ebenfalls schon erwähnten jüngeren Freunden angesehen (sie sind etwa 20 Jahre jünger als ich, also auch nicht mehr ganz jung, aber sie gehören einer anderen Generation an als ich). Sie fanden den Film langsam inszeniert und bemängelten auch, daß es Längen ohne richtige Action gab. Aber der Faszination des Films konnten sie sich nicht ganz entziehen.

Vielleicht gibt es hier ja auch jüngere Leser, daher wieder eine Inhaltsangabe. Die Air Force One mit dem amerikanischen Präsidenten (Donald Pleasence) an Bord wird von Terroristen entführt. Sie bringen die Maschine gezielt über New York, genauer: über Manhattan, zum Absturz. Wir sind in einer nahen Zukunft (die inzwischen schon zur Vergangenheit geworden ist), und die Prämisse des Films ist, daß die USA, um der immer mehr zunehmenden Kriminalität Herr zu werden, ganz Manhattan mit einer Mauer umgeben und in ein riesiges Gefängnis verwandelt haben. Der Präsident ist in einer Rettungskapsel am Leben geblieben, ist aber nun in der Hand irgendwelcher Verbrecher im Manhattan-Gefängnis. Er muß aber schnellstens zu einer Friedenskonferenz, um dort den Dritten Weltkrieg zu verhindern.

Der Polizeioffizier (Lee van Cleef), der für die Bewachung von Manhattan zuständig ist, versucht, den Präsidenten rauszuholen, findet ihn aber nicht. In diesem Moment wird „Snake“ Plissken (Russell, den Vornamen von Plissken erfahren wir nicht) vorbereitet, ins Gefängnis zu wandern. Van Cleef bietet ihm die Freiheit an, wenn er undercover den Präsidenten befreit, setzt ihn aber zugleich durch das Einimpfen von Sprengkapseln in seinen Hals (die Impfgegner hatten schon damals recht!) unter Druck. Nach 24 Stunden wird sein Kopf weggesprengt, es sei denn, er bringt bis dahin den Präsidenten zurück – wenn nicht, bricht der Atomkrieg aus, und dann ist es eh‘ egal. Diese Maßnahme ist notwendig, weil Plissken zwar hochdekorierter Kriegsheld ist, aber inzwischen für die USA oder irgendeinen Präsidenten nicht mehr freiwillig den Kopf hinhalten würde.

Plissken dringt mit einem Segelflugzeug in Manhattan ein und beginnt mit seiner Suche. Er erlebt eine bizarre Welt, die die dort lebenden Kriminellen nach ihren eigenen Regeln gestaltet haben. Er findet nach einiger Zeit zwar ein Ortungsgerät, aber nicht den Präsidenten. Ein Taxifahrer (Ernest Borgnine) hilft ihm in einer brenzligen Situation und gibt ihm dann den entscheidenden Tip: Der „Duke von New York“ (Soulstar Isaac Hayes) hat ihn in seiner Gewalt. Sein Ratgeber „Brain“ (Harry Dean Stanton) kann Plissken zu ihm führen. Cabbie bringt Plissken zunächst zu Brain und seiner Freundin Maggie (Adrienne Barbeau), der ihn dann mit dem Duke zusammenbringen soll. Brain arbeitet gerade an einem Plan, aus dem Gefängnis auszubrechen, und könnte Snakes Flugzeug gut gebrauchen. Aber mit einem Maschinengewehr an seiner Schläfe führt er ihn dann doch zum Duke. Plissken befreit den Präsidenten, wird allerdings enttarnt und muß zur Belustigung der Posse des Duke auf Leben und Tod gegen einen Wrestler (Ox Baker, ein echter Wrestler) antreten. Plissken spaltet ihm den Schädel.

Der Ausgang des Kampfs spielt aber keine Rolle, denn die Bande des Duke macht sich auf auszubrechen. Auch für Snake wird es höchste Zeit, sich mit dem Präsidenten wieder ins Flugzeug zu setzen, aber es ist nicht mehr flugfähig. Da erbietet sich Cabbie, die beiden sowie Brain und Maggie mit seinem Taxi über die verminte Queensboro Bridge zu fahren. Das gelingt unter zahlreichen Opfern. Der Präsident wird die Gefängnismauer hinaufgezogen, Snake muß noch einmal gegen den Duke kämpfen. Aber der oft gedemütigte Präsident erschießt den Duke. Plissken wird in letzter Minute gerettet. Van Cleef bietet ihm eine Zusammenarbeit an, aber Plissken hat die Nase voll von der Rettung des Vaterlands. Der Präsident wird schnell für eine Friedensbotschaft zurechtgeschminkt, die per Video übertragen werden soll. Seine Botschaft befindet sich auf einer Audiocassette. Als sie abgespielt wird, stellt sich aber heraus, daß nur Jazzmusik drauf ist. Die entscheidende Cassette hat Plissken an sich gebracht und zerstört sie nun genüßlich beim Weggehen.

Das ist eine wilde Mischung aus Science Fiction, Action, Politsatire, Polizei- und Gefängnisfilm und (bei Regisseur John Carpenter nicht anders zu erwarten) auch Westernelementen. Man könnte viel darüber erzählen, wie der Film mit geringem Budget sozusagen improvisiert wurde, wobei Carpenter auf viele Inszenierungskniffe von Howard Hawks oder auch Alfred Hitchcock zurückgriff. Der Cast wurde ebenfalls preisgünstig zusammengestellt. Kurt Russell war bisher ein sehr positiver Held in Disneyfilmen gewesen, bewährte Schauspieler wie van Cleef oder Borgnine waren in Hollywood in Vergessenheit geraten. Möglicherweise bekam Charakterdarsteller Donald Pleasence (der schon in „Halloween“ mit Carptenter zusammengearbeitet hatte) die höchste Gage. Er entwarf ein ziemlich ungünstiges Porträt des US-Präsidenten – feige und opportunistisch. Da spielte das damals für die Amerikaner enttäuschende Vorbild von Jimmy Carter eine Rolle, der ja dann auch von einem anderen Typus, nämlich Ronald Reagan, abgelöst wurde. Snake Plissken wurde jedenfalls für viele Leute meiner Generation zum role model (wenn auch sicher nicht für die Popper und die Discofans). Die unmittelbaren Einnahmen des Films in USA betrugen gut das Vierfache seiner Kosten – Carpenter war da wohl auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Noch ein kleines Detail: Im Original hat der Filmtitel nichts mit Schlangen zu tun, er lautet schlicht „Escape from New York“. Was Snake Plissken auf seinem Bauch tätowiert hat, ist eine Kobra – vermutlich klang aber „Klapperschlange“ besser.
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