Thema: Filmklassiker
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Alt 01.11.2022, 07:23   #135  
Peter L. Opmann
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Dies ist wohl nicht der Film, mit dem man Regisseur Sam Peckinpah sofort verbindet, aber ich habe gelesen, es sei ein großer kommerzieller Erfolg gewesen, und über ihn werde bis heute viel diskutiert. Ich rede von „Getaway“ (1972). Auf jeden Fall war es eine Auftragsarbeit, kein Film, den Peckinpah machen wollte. Er hatte aber wohl beim Drehen etwas mehr Gestaltungsfreiheit als sonst. Mich spricht das Motiv eines Helden (Steve McQueen) mit hoher Intelligenz an, der aber zu unklugem Verhalten gezwungen wird – am Ende gewinnt er doch seine Freiheit. Das Ende des Films ist überhaupt ziemlich bemerkenswert. Ein Peckinpah-typischer Gewaltexzeß mündet in ein beinahe sentimentales Happy End, bei dem traditionelle, schon überholte Werte gefeiert werden.

McQueen ist ein Profi-Bankräuber, der dummerweise gerade in Texas im Knast sitzt, und zwar wohl noch einige Jahre. Die Behörden zeigen keinerlei Neigung, ihn zu begnadigen. McQueen beauftragt darauf seine Frau (Ali McGraw), einem einflußreichen Politiker (Western-Veteran Ben Johnson) anzubieten, für ihn ein Ding zu drehen, wenn er früher rauskommt. Kurz darauf wird er prompt freigelassen. Nun muß er also für diesen korrupten Politiker eine Bank überfallen, aber er darf nicht so arbeiten wie gewohnt, sondern bekommt zwei Gangster zugeteilt, von denen er wenig hält. Sie sind ihm zu undiszipliniert und zu dumm. Der Banküberfall geht auch beinahe schief, und es wird ein Wachmann erschossen, obwohl McQueen auf Gewaltlosigkeit Wert gelegt hatte. Der eine Gangster (Al Lettieri) bringt auch noch seinen Komplizen um, um nicht teilen zu müssen, und fährt dann zum Treffen mit McQueen, um abzurechnen. Der hat ihm allerdings von Anfang an mißtraut und legt ihn um, bevor der es tun kann.

Gleich nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hat sich McQueen wieder mit seiner Frau zusammengetan. Er kapiert allerdings nur langsam, daß sie mit dem Politiker geschlafen hat, um ihn freizubekommen. Und es will ihm überhaupt nicht in seinen Macho-Kopf, daß das keine eheliche Untreue war, sondern sie für ihn ein Opfer gebracht hat. Es kommt zu einer schweren Krise, und sie wollen sich beinahe trennen, es aber dann doch noch einmal miteinander versuchen. Unerkannt ist ihnen aber Lettieri auf den Fersen. Er ist nicht tot, weil er, unbemerkt von McQueen, eine schußsichere Weste trug. Allerdings wurde er verwundet. Lettieri kidnappt einen Tierarzt, der ihn notdürftig medizinisch versorgt, und dessen Frau und läßt sich von ihnen durchs Land fahren. Die Episode endet mit dem Selbstmord des Tierarztes, weil sich Lettieri mit vorgehaltener Pistole mit seiner Frau vergnügt.

McQueen will wie vereinbart den Großteil der Beute bei Johnson abliefern, gerät aber mit ihm über den Ablauf des Banküberfalls in Streit. Da wird Johnson aus dem Hintergrund von McGraw erschossen. Damit wären eigentlich alle Probleme gelöst, aber das Verbrechen macht inzwischen Schlagzeilen, und McQueen und McGraw müssen untertauchen. Außerdem merken sie, daß auch Kumpane von Johnson hinter ihnen her sind. Zu allem Überfluß wird McGraw an einem Bahnhof von einem Trickbetrüger um die Tasche gebracht, in der sich die Dollars befinden. McQueen hat einige Mühe, sie wiederzubekommen.

McQueen und McGraw suchen ein Hotel auf, das schon früher als Treffpunkt nach Coups gedient hat. Der Hotelbesitzer ist ein Freund. Allerdings ist er von den Johnson-Leuten unter Druck gesetzt worden, McQueen zu verraten. Und auch Lettieri taucht in dem Hotel auf und will sich das Geld zurückholen. Damit kommt es zu einem großen Showdown mit einer Menge Toten. McQueen hat entdeckt, daß Lettieri noch lebt und will ihn zunächst nur kampfunfähig machen, muß ihn aber doch erschießen. McQueen und McGraw verlassen nach dem Blutbad das Hotel Hals über Kopf und zwingen einen Farmer, sie mit seinem klapprigen Pickup über die Grenze nach Mexiko zu bringen. Die Flucht gelingt. McQueen fordert den Farmer auf anzuhalten. Er will ein paar 10 000 Dollar für das Auto und sein Schweigen zahlen. Das ist für den Mann wie ein Lottogewinn; dafür geht er gern zu Fuß nach Texas zurück. Vorher hat er gefragt: „Seid ihr beide überhaupt verheiratet?“ Als McQueen und McGraw bejahen, ist er zufrieden und hat vor ihnen keine Angst mehr.

Weil ich von dem Film so angetan war, habe ich mir auch die Romanvorlage von Jim Thompson besorgt. Deren Ende ist viel zynischer, aber ansonsten ist der Thriller ziemlich originalgetreu umgesetzt worden. Allerdings sind die Figuren bei Thompson viel eindimensionaler. Steve McQueen macht seine Figur ambivalent. Sie wird zur Identifikationsfigur, aber er zeigt auch ihre unsympathischen Seiten und sogar ihre Fehler. Erstaunt war ich auch, daß die Ehekrise in dem sonst lupenreinen Kriminalfilm einen so großen Raum und damit Ali McGraw eine so wichtige Rolle erhält. Und ich denke, Peckinpahs wichtigstes Thema war das Ringen um Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Virtuos inszeniert und geschnitten ist bereits der Vorspann des Films, der zeigt, wie McQueen im Gefängnis allmählich verrückt wird.
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