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Alt 20.02.2021, 19:52   #3848  
God_W.
Captain Rezi
 
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Ich fand den auch ziemlich stark, hat ne 7/10 gekriegt:

Rezi zu Van Helsing vs. Jack the Ripper

Zitat:
Bei der dritten Ripper-Runde gibt’s ein Cross-Over ganz besonderer Art…



Titel: Van Helsing vs. Jack the Ripper – Splitter-Double

Verlag: Splitter (Fr: Éditions Soleil / Lamontagne / Radovi´c / Reinhold)

Format: 96 Seiten im Hardcover Albenformat

Inhalt: Van Helsing contre Jack L’Éventreur 1: Tu as vu le Diable, 2: La Belle de Crécy

Autoren: Jacques Lamontagne

Zeichner: Sinisa Radovic, Bill Reinhold

Klappentext bzw. Angaben des Verlags:
London, 1888.
Abraham van Helsing hat es geschafft. Endlich konnte er dem Blutsauger Graf Dracula den entscheidenden Todesstoß versetzen.

Doch seither ist er ein gebrochener Mann. Was mögen die letzten Worte des gefürchteten Vampirs gewesen sein, die ihn so aus der Fassung gebracht haben?

Um ihn wieder zur Teilnahme am Leben um ihn herum zu bewegen, ermuntert ihn sein Freund, Inspektor Abberline von Scotland Yard, ihn bei dessen Ermittlungen in einer mysteriösen Mordserie im Londoner East End zu begleiten.

Auf diese Weise bringt Jacques Lamontagne ('Druiden', 'Pik As') zwei der größten Mythen des 19. Jahrhunderts zusammen: Graf Dracula (fiktiv) und Jack the Ripper, vielleicht der berühmteste Mordfall der neueren Geschichte und als solcher ebenfalls Gegenstand zahlloser Fiktionen. Beeindruckend!



Just my 2 cents:
Stimmt schon, der Titel meines dritten Ausfluges nach Whitechapel klingt nach einem wahren Trash-Fest und würde auch so manchem Filmabend auf Tele5 zu Ehre gereichen. Aber nein, weit gefehlt. Es handelt sich tatsächlich um eine ernsthafte Verarbeitung der berühmtesten Mordserie der Geschichte, die hier mit einem der erfolgreichsten Schauerromane aller Zeiten verknüpft wird. Beide Werke bieten ein geradezu unerschöpfliches Potential. Addiert sich der Lesegenuss bei einer Verbindung von beiden also, oder steigert sich gar exponentiell? Lasst es uns herausfinden.

Im November des Jahres 1886 jagt ein Pferdegespann, verfolgt von einer wilden Reiterei, durch die verschneiten Karpaten. Der Kutscher transportiert eine große Holzkiste, und der Sonnenuntergang steht kurz bevor, doch die bewaffneten Männer auf den Pferden sind schneller und so wird der Wagen kurz darauf mit Waffengewalzt gestoppt. Abraham van Helsing springt von seinem Pferd und gerade als die Sonne hinter den Berggipfeln versinkt reißt er den Deckel von der Holzkiste. Dracula springt daraus hervor, doch van Helsings Pflock und Hammer sind bereits zur stelle und das Holz versinkt tief in der Brust des Untoten mit den Reißzähnen. Mit letzter Kraft flüstert er seinem Mörder etwas ins Ohr, bevor er schließlich lichterloh aufflammt und zu Asche vergeht. Wie betäubt, beinahe Katatonisch sitzt der Vampirjäger vor den Überresten seines Erzfeindes und ist kaum ansprechbar.

Noch Jahre später hat Dr. van Helsing mit den Ereignissen dieser Nacht zu kämpfen. Er kann sich kaum auf etwas konzentrieren, ist kraftlos, nahezu handlungsunfähig und wird von Ängsten und Albträumen geplagt. Er isst kaum etwas, betäubt seine Furcht mit Drogen und selbst sein treuer Diener weiß weder ein noch aus. So vegetiert der einstige Retter der Menschheit in seiner Wohnung im Londoner Stadtteil Kensington vor sich hin als ein alter Freund die Pforte klopft. Ein Freund der zwar dringend Hilfe benötigt, aber in Gegenzug auch eine Chance sieht den einstmals guten Doktor van Helsing aus seiner Depression zu erretten, indem er ihm wieder eine Aufgabe zuteilwerden lässt. Eine Aufgabe, die seinen scharfen Verstand fordert und dem Wohle der Menschheit dient. Es geht um die Lösung eines Rätsels ungeahnten Ausmaßes. Wir schreiben den September anno 1888, der Freund ist Inspektor Abberline von Scotland Yard und die Aufgabe besteht in der Aufklärung der grauenvollen Morde im Stadtteil Whitechapel und der Ergreifung von Jack the Ripper.



Eine äußerst faszinierende Ausgangssituation, die Autor Jacques Lamontagne hier gestrickt hat und alles sieht nach der perfekten Hochzeit zwischen zwei schaurig-mysteriösen Ehepartnern aus. Dazu das feine und stimmungsvolle Artwork von Sinisa Radovic, dem es mühelos gelingt mich in die Geschichte hineinzuziehen. Insgesamt ist die ganze Story auch wirklich spannend und das Ripper-Thema wird überraschend detailgetreu verarbeitet. Ich habe in den letzten Wochen nicht nur vier Comics zu dem Thema gelesen, sondern auch ein wenig im Netz recherchiert, die erste Staffel Ripper Street gesichtet, die nach den Morden spielt und deshalb hier kaum relevant ist, sowie fünf Verfilmungen zum Thema nebst einigem an erläuterndem Bonusmaterial verinnerlicht. Ich kann also sagen, dass selbst in dieser fiktiven Geschichte viele verbriefte Tatsachen der Whitechapel-Morde eingeflossen sind und auch einige weit verbreitete, ziemlich realistische Theorien zum Thema aufgegriffen werden.

Dennoch bleibt der Ausgang der Geschichte aufgrund des „Fantasy“-Anteils natürlich stets im Ungewissen, was durchgehende Spannung garantiert. Van Helsing geht Ermittlungsleiter Abberline mit scharfem Verstand und detektivischem Gespür in bester Sherlock Holmes Manier zur Hand und das Finale bietet einen richtig fetten Storytwist, den wohl kaum jemand kommen sieht, ich habe mich jedenfalls gefreut, dass ich nochmal ordentlich überrascht wurde, obwohl ich schon glaubte das Rätsel gelöst zu haben.

Das klingt jetzt alles sehr begeistert, aber leider gibt es auch einiges an Schatten. Zum einen kommt der Dracula-Anteil an der Geschichte halt wirklich sehr kurz, ist quasi nur als Randnotiz zu bezeichnen. Das Dr. van Helsing hier fast eins zu eins wie Sherlock Holmes agiert, bis hin zur charakteristischen Drogensucht, nimmt der Figur etwas die eigene Identität und der gute Doktor wirkt dadurch sehr austauschbar. Weshalb man sich nach der hervorragenden Arbeit, die Sinisa Radovic in der ersten Hälfte abgeliefert hat dazu entschloss den zweiten Teil von Bill Reinhold zeichnen zu lassen wird sich mir wohl nicht mehr erschließen. Reinholds Artwork ist zwar auch weit entfernt davon schlecht zu sein, wirkt aber an vielen Stellen, vor allem was die Gesichter angeht, schlichter und in einigen wenigen Szenen sogar grobschlächtig. Das wäre wirklich kein Beinbruch, weil die Atmosphäre dennoch stets gut transportiert wird, hätte man nicht noch einige Seiten zuvor gesehen, wie es besser geht.

Meine Wertung: 7/10

Im Gegensatz zu Jack the Ripper – Splitter-Double diesmal aber mit einer Tendenz nach unten statt nach oben. Wer filmisch mal ein Cross-Over sehen will der kann sich Sherlock Holmes größter Fall auf Blu-Ray besorgen. Ist ein schöner, kleiner und sehr klassischer Beitrag zum Thema. Etwas moderner ist Sherlock Holmes - Mord an der Themse mit Christopher Plummer und Donald Sutherland, den hab ich aber selbst noch nicht gesichtet.

VG, God_W.

Geändert von God_W. (20.02.2021 um 21:24 Uhr)
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