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Alt 09.06.2015, 09:18   #2937  
michidiers
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Kinder der Hoffnung



Von Marc Levy und Alain Grant (Zeichnungen)

Inhalt:

Ich beginne einmal mit einem Zitat von Seite 2: „Für unsere Freunde hat alles begonnen wie ein Kinderspiel. Einige von ihnen hatten nicht mehr die Zeit, erwachsen zu werden: Delacourtie von der französischen Polizei ermordet, Clouet in Lyon erschossen. Was Bertrand angeht, so weiß niemand, auf welchem Feld er begraben ist. Sie waren acht an diesem Tag, die ersten der Kinder der Hoffnung!“
Erzählt wird die wahre Geschichte des Raymond Levy, der sich 1943 – wohl eher aus Abenteuerlust - als Jugendlicher einer Splittergruppe des französischen Widerstands in Toulouse/Südfrankreich anschließt. Diese Gruppe mit dem Namen „Die 35.Brigade“ setzte sich vornehmlich aus Immigranten aus Italien, Spanien und Polen zusammen. Meist kaum dem Kindesalter entwachsen gaben sie für Frankreich ihr Leben, riskierten damit Tod, Folter der Nazis und gleichzeitig das Misstrauen der „wahren“ französischen Resistance. Sie agierten Im Untergrund, sabotierten und töteten im Namen der Freiheit eines Landes, das ihnen oft mit Befremden gegenüberstand. Schließlich wurden sie verraten, gefangen genommen und gerieten, als sich schon die Befreiungstruppen näherten, in eine tödliche Odyssee quer durch Südfrankeich, an dessen Ende nur eines auf sie warten sollte: ein Konzentrationslager in Deutschland.

Man sollte sich nicht über die Namensgleichheit von Protagonist und Autor wundern, denn Raymund Levy ist der Vater von Marc Levy. Marc Levy, der bereits durch zahlreiche Werke aus dem Bereich der Belletristik (Romanzen, Fantastik) auch in Deutschland Bekanntheit erlangt hat, adaptierte hier seinen gleichnamigen Roman als 180-seitige Graphic Novel.
Dem Versprechen eines sterbenden Mitkämpfers aus dem Widerstand verpflichtet, hielt Raymund damals die Geschichte der 35. Brigade fest und erzählte sie eines Tages seinem Sohn Marc. Dieser übernahm das Vermächtnis seines Vaters und – ausgestattet mit der Erfahrung eines zu dieser Zeit schon anerkannten Schriftstellers – schrieb er diese mit viel Fingerspitzengefühl zunächst als Roman, dann als Graphic Novel nieder. Hierbei bediente er sich der Elemente eines grafisch erzählten Romans, biografischer Versatzstücke und Zeitdokumente wie Zeitungsartikel. Herausgekommen ist dabei eine sowohl sensible, als auch verdammt spannend erzählte Geschichte, die wohl mehr als eine normale Erzählung ist – eher kann es als ein Dokument für die Nachwelt gesehen werden.

Ein Indikator dafür, dass ich ein wirklich gutes Werk gesehen oder gelesen habe, ist stets die Tatsache, dass ich mich auch noch Tage danach geistig damit beschäftige und darüber nachdenke. Z.B. hatte ich das bei Filmen wie Eastwoods „Gran Tourino“ oder Büchern wie Capotes „Kaltblütig“. Kinder der Hoffnung kann sich darin nun einordnen, denn diese berichtende Erzählung über jene schicksalshafte Ereignisse in Südfrankreich geht mir noch heute unter die Haut, wenn ich daran denke.

Hinsichtlich der zeichnerischen Umsetzung sei so viel gesagt, dass diese ganz im Stile der typischen franco-belgischen „ligne claire“ gehalten ist und eine passende Kolorierung aufweist, welche dem zeitlichen Kontext Rechnung trägt. Als Anhang gibt es noch auf sechs Seiten den originalen Bericht, der von Raymund niedergeschrieben wurde und auf weiten sieben Seiten Abdrucke der originalen Dokumente wie Raymunds Haftbefehl, wobei die Dokumente leider nicht ins Deutsche übersetzt wurden.

Fazit: Eine lohnende Lektüre, die nicht nur eine spannende Geschichte erzählt, sondern auch ein Zeitdokument ist.

Geändert von michidiers (09.06.2015 um 09:28 Uhr)
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