Thema: Damals war's
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Alt 13.07.2009, 22:50   #362  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Tonbandgerät

Meine Eltern, genauer gesagt: mein Vater, hatte so ein schweres Gerät auch mal stehen. Das Gewicht kann ich nicht mehr schätzen, weil ich damals gerade in den Kindergarten oder in die Grundschule ging. Musik hat er damit weniger aufgenommen, ihm ging es darum, das Familienleben zu dokumentieren. Der schwere Kasten wurde beispielsweise zu Weihnachten hervorgekramt, die Magnetbänder nach Vorschrift eingelegt und über Kabel ein klobiges Mikrophon angeschlossen. Weil die Aufnahmekapazität begrenzt war, wurden nur spezielle Momente mitgeschnitten wie das obligatorische Gedichte aufsagen von meinem Bruder und mir ("Ich wünsche mir zum heiligen Christ") oder ein paar Worte von meiner Oma, wenn die mal zu Besuch war. Die Atmosphäre war sowieso schon gespannt, weil da alle wer weiß was erwartet haben, so daß das steife Ritual wohl heute wie ein Sketch von Loriot wirkt, mit dieser Spontaneität und Freude auf Knopfdruck. Häufig wurde das nicht eingesetzt, irgendwann verschwand es komplett in der Schrankwand im Wohnzimmer. Soweit ich weiß, hat mein Vater das Tonband nie verkauft: Das Gerät muß ihm also etwas bedeutet haben.
Bei anderen Dingen kannte mein Vater diese Skrupel nicht, was erstaunlicherweise auch seinen ersten Wagen einschloß, einen flaschengrünen Opel Admiral. Nachdem er sich seinen ersten Mercedes leisten konnte, verkaufte er den Altwagen nicht etwa, nein. Er bildete sich selbst zum Automechaniker aus, indem er den Opel Stück für Stück zerlegte - bis zur letzten Schraube und Mutter. Dann pfriemelte er das Ganze wieder zusammen, womit er aber keinen Blumentopf gewinnen konnte: der TÜV nahm ihm das Werkstück nicht ab. Es landete auf einem Autofriedhof.
Na ja, das Tonband wurde Anfang bis Mitte der 1970er Jahre ad acta gelegt. Dann fand mein Vater andere Medien interessanter: Erst eine Spiegelreflexkamera, später ein Super8-Gerät inklusive Projektor. Für seine Super8 studierte einen Taschenbuch-Ratgeber, an den er sich sklavisch hielt, wenn er im Urlaub (siehe oben) filmte und die Aufnahmen zu 30 bis 50 Minuten langen Werken kompilierte.
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