Thema: Damals war's
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Alt 11.06.2009, 19:13   #111  
Servalan
Moderatorin Internationale Comics
 
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Standard Sommerferien

Als Kind habe ich gelesen, was ich in die Finger bekam. Was ich erhielt, war dann rasch "ausgelesen", besonders wenn es unterkomplex auf Kinder zugeschnitten war. Am schonendsten für den schmalen Geldbeutel eines Heranwachsenden war es allerdings, die gewünschte Lektüre als Geschenk zu Weihnachten oder auf dem eigenen Geburtstag als Geschenk zu bekommen. Leider trafen diese Ereignisse nur selten ein, d.h. ich mußte die Hefte oder Alben kaufen. Erschwerend kam hinzu, daß meine Eltern mich und meinen Bruder knapp hielten, weshalb auf teurere Sachen gespart werden mußte. Das bedeutete auch, daß sich in den jüngsten Jahren meine Bibliothek an meinen Finanzen ausrichtete und der Bastei-Verlag meine Sammlung bestimmte: Bonbon und Marco Polo (v.a. die Ausgaben zu 0,90 Pfennig Ladenpreis!) waren von daher genauso ein Kompromiß wie die Das fröhliche Feuerwerk-Taschenbücher. Ein Topix-Album (Rahan) nenne ich mein eigen; Phantom und Yps gerieten auf die Schwarze Liste meiner Eltern; als ich mich der Versetzung aufs Gymnasium näherte, schätzte ich die Ehapa-Ausgaben von Albert Enzian.

Weil ich nur wenig kaufen durfte, nahm ich mir die Freiheit, in diversen Kieler Läden und der Buchhandlung Weiland in Neumünster meine Wünschlektüre in Häppchen zu schnorren. Valerian und Veronique, Bourgeons Reisende im Wind, die Alben von Manara bei Schreiber & Leser und die Tardis bereicherten mich auf diese Weise wie auch ausgewählte Episoden aus U-Comix und Schwermetall, die ich in den Stilke-Filialen in der Holstenstraße durchlas. Meine Mutter führte selbst ein Schuhgeschäft in einem Vorort, das ihr Vater nach seiner Vertreibung aus Schlesien aufgebaut hatte, weswegen die Zeiten beschränkt waren. In die City von Neumünster kam ich über die Mittagsstunden, solange das eigene Geschäft von halb eins bis halb drei geschlossen war; nach Kiel nur an den damals verkaufsoffenen Samstagen (jeweils der erste im Monat! Ja, sowas gab's mal!).

Als Schmutz und Schund sahen meine Erziehungsberechtigten darin brav gemäß der Propaganda eine Gefährdung meiner schulischen Karriere. In der Grundschule hatte ich, außer in Sport, meist Einsen und einige Zweien; weil meine Eltern aber nur den Hauptschulabschluß hatten, erhielt ich ebenfalls nur eine Empfehlung für die Hauptschule. Meine Eltern setzten sich über den Beschluß hinweg, so daß ich (zunächst) aufs Gymnasium kam. Das Lehrpersonal hatte aber eifrig mein Urteil studiert und machte mir unmißverständlich klar, daß ich an diesem Ort unerwünscht war.
Spätestens ab dem 5. Schuljahr wanderten meine gesamten Comics deshalb in einem leeren Versandkarton für Schuhe auf den Dachboden. Einfach übereinander gestapelt, ohne weiteren Schutz wie Hüllen oder Ordner, von denen ich damals nichts wußte. Falls ich mit solchen Vorstellungen angekommen wäre, hätten meine Eltern an meinem Verstand gezweifelt; für solche Dinge waren die nicht mal mit Argumenten zu erreichen. Der Bann wurde über die Sommerferien jedoch aufgehoben, so daß ich jedesmal um so mehr freute, wenn die sechs Wochen begannen.
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