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Servalan 27.07.2015 17:54

Vom Schreiben zum Veröffentlichen
 
Natürlich ist es immer noch ein besonderes Vergnügen, das selbst Geschriebene zwischen zwei Buchdeckeln oder in einer Zeitschrift gedruckt zu sehen. Aber heute können literarische Werke ihr Publikum auf etlichen Wegen finden.
Wie seit altersher bleibt der Vertrieb das Nadelöhr, das über Erfolg und Mißerfolg entscheidet. Erst wenn ein Werk erhältlich ist, existiert es wirklich.

Weil ich das Rad nicht neu erfinden möchte, hier einige Hinweise für gute Tipps:

Sandra Uschtrin: Handbuch für Autorinnen und Autoren (Uschtrin Verlag). 8. Auflage Februar 2015, 54,90 Euro.
* Auf den ersten Blick mag der Preis happig erscheinen, aber der Wälzer mit mehr als 660 Seiten ist jeden Cent davon wert. Die Verlagshomepage übertreibt nicht, wenn der Band als "Das Standardwerk für alle, die schreiben. DIE Investition in Ihre Zukunft!" angepriesen wird.
* Aktuelle Infos zum Literaturbetrieb: http://www.uschtrin.de/

Bundesverband junger Autoren und Autorinnen e.V. (Bonn), 1987 gegründet
* Homepage: http://bvja-online.de/

Wolfgang Tischer: Das Literatur-Café. Der literarische Treffpunkt im Internet
* Homepage: http://www.literaturcafe.de/ (seit 1996)

Autorenforen:
Zum Einstieg reicht es, in einem öffentlichen Teil des Forums mitzulesen. Tipps, Trends und Marotten der schreibenden Zunft kommen hier deutlicher zum Ausdruck als im Feuilleton oder in Amazon-Rezensionen.
Wer aber zumindest semiprofessionell mitmischen will, sollte in den Foren mitarbeiten. Dafür wird ein gewisser Einsatz gefordert: An den eigenen Manuskripten soll gefeilt und geschliffen werden, bis sie funkeln. Außerdem sollten Interessierte Kritik und Anregungen vertragen können, im Gegenzug dürfen sie ihre Verbesserungsvorschläge bei Diskussionen anbringen.
(Wird bei Bedarf aktualisiert.)

Servalan 27.07.2015 19:49

Eine Warnung vor Druckkostenzuschußverlagen (DKZV)
 
Wer etwas veröffentlichen will, stößt mit schöner Regelmäßigkeit auf Anzeigen, in denen Verlage Autorinnen und Autoren suchen. Vorsicht! Firmen schalten in dem Bereich Werbung, in dem sie sich eine goldene Nase versprechen.

Das Wort "Verlag" kommt vom "verlegen", was auf Deutsch heißt: Wer die Rechte an einem Manuskript haben will, schießt zunächst die Kosten vor, bis das Buch in den Handel kommt. Folgerichtig lassen ordentliche Verlage ihre Bücher rezensieren und bringen sie dort ins Gespräch, wo sie ihr Publikum vermuten.
Verlage werben um die Leserschaft.

Verlage, die um Autorinnen und Autoren werben, sind gar nicht mehr an einem Vertrieb und Handel interessiert. Deren Kalkulation ist schon aufgegangen, bevor das Belegexemplar abgeliefert wird. Wer sich dort beworben hat, dessen Manuskript wird über den grünen Klee gelobt. Manchmal stalken solche Dienstleister übrigens, wenn der Geköderte die Forderung von einigen hundert bis mehreren Tausend Euro in den Papierkorb wirft.

Es gibt andere Möglichkeiten des Selbstmarketing und der Selbstveröffentlichung, die inzwischen nicht mehr scheel angesehen werden. Wer sich jedoch auf einen DKZV einläßt, dessen Manuskript ist verbrannt.
Verzichtet auf das teure Lehrgeld, und haltet euch an Prinzipien:
  • Wer sich an einem literarischen Werk abgearbeitet hat, sollte sich seines eigenen Werts bewußt sein. Niemand drängt einen dazu, etwas veröffentlichen. Wer dafür noch Geld verlangt, beleidigt den Autor oder die Autorin.
  • Vorher über den Verlag erkundigen, dann erst etwas losschicken.

Servalan 28.07.2015 17:02

Buchempfehlungen
 
Bücher über das Schreiben, die Sprache und den Rest:
  • Stephen King: On Writing: A Memoir of the Craft (Scribner 2000, TB bei Pocket Books 2000 - 274 Seiten) - deutsche Ausgabe: Das Leben und das Schreiben (Ullstein 2000)
  • Carla Berling: Vom Kämpfen und vom Schreiben. Tagebuch eines Romans (Kulturmaschinen Verlag 2011 - 183 Seiten)
  • Hans Peter Roentgen: Vier Seiten für ein Halleluja. Ein Schreibratgeber der etwas anderen Art (Sieben-Verlag Ltd. 2008 - 145 Seiten)
  • Guy Deutscher: Through the Language Glass. Why the World Looks Different in Other Languages (William Heinemann 2010, TB bei Arrow Books / Random House 2011 - 310 Seiten) - deutsche Ausgabe: Im Spiegel der Sprache: Warum die Welt in anderen Sprachen anders aussieht (C.H. Beck 2013 - 320 Seiten)
  • Douglas R. Hofstadter: Le Ton beau de Marot: In Praise of the Music of Language (Basic Books, New York 1997 und Bloomsbury Publishing Plc, London 1997 - 832 Seiten)

Online-Tipps von bekannten Autorinnen und Autoren oder Experten:
  • Open Culture (16. März 2014): Stephen King’s Top 20 Rules for Writers - leider nur auf Englisch.
  • Hans Peter Roentgen: Textkraft - gibt Workshops, hält Vorträge und schreibt Bücher zum Thema. Für Interessierte bietet er ein Schnupperlektorat an: Die ersten vier Seiten (max. 7.200 Anschläge), Kosten: 30 €, Dauer: 4-8 Wochen.

Heute werden mehr Bücher geschrieben und veröffentlicht, als zu jeder anderen Zeit. Das meiste davon bleibt zurecht in der Schublade. Meist sind es unscheinbare Details oder ein gut gewählter Zeitpunkt, der zufällig das Jetzt eingefangen hat, die ein gut geschriebenes Manuskript von einem Meisterwerk unterscheiden. Was wie dahingeworfen aussieht, muß es noch lange sein.
Wer sich seine Chancen ausrechnen möchte, den verweise ich auf:
  • Daniel Kahnemann: Thinking, Fast and Slow (Farrar, Strous & Giroud 2011, TB bei Penguin 2012 - 499 Seiten) - deutsche Ausgabe: Schnelles Denken, langsames Denken (Siedler Verlag 2012 - 624 Seiten)
  • Nassim Nicholas Taleb: The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable (Random House und Pengiun 2007 - 444 Seiten) - deutsche Ausgabe: Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse (Hanser Wirtschaft 2008 - 442 Seiten)
  • Nassim Nicholas Taleb: Antifragile: Things That Gain from Disorder (Random House 2012 und Penguin 2013 - 519 Seiten) - deutsche Ausgabe: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (Knaus 2013 - 688 Seiten)

Peter L. Opmann 28.07.2015 23:11

Ein Buch über das Schreiben, das ich noch empfehlen kann (wenn auch etwas speziell):

Patricia Highsmith: Wie man einen Thriller schreibt (wurde mal in Fortsetzungen in der FAZ abgedruckt)

Servalan 29.07.2015 10:48

VG WORT
 
Wer ab und zu kleinere Werke veröffentlicht, für die oder den kann sich eine Mitgliedschaft in der Verwertungsgesellschaft Wort (VG WORT) lohnen. Der Name hört sich bürokratisch an, und das Verfahren, dort aufgenommen, ist ein technokratischer Akt, letzten Endes zahlt sich das jedoch aus.

Die VG WORT ist die GEMA für Leute, die Texte aller Art schreiben. Verständlicherweise werden je nach Textsorte bestimmte Anforderungen gestellt. Wenn eigene Werke diese Vorgaben erfüllen, müssen sie angemeldet werden - meistens einmal pro Jahr.
Wo bekommt die VG WORT das Geld her? Kopiergeräte und Speichermedien (z.B. leere DVDs, leere Video-Kassetten) enthalten eine Kopierabgabe, die ähnlich wie die Haushaltsabgabe (alter GEZ-Beitrag) abgeführt wird. Übers Jahr sammelt die VG WORT diese Abgabe und verteilt die Summe dann im nächsten Jahr.

Anfangs wird das nur ein kleines Taschengeld sein, aber besser als nix.

Servalan 04.08.2015 17:57

Ein Beitrag über die Erfinderin der Kinderzimmer-Ikonen Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen: Elfie Donnelly im Deutschlandradio Kultur.
Zitat:

Gerechtigkeit und Emanzipation hatte Elfie Donnelly im Sinn, als sie Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg erfand. Mehr über ihre Figuren, ihre Bhagwan-Zeit und ihr "inneres Kind" erzählt die Autorin "Im Gespräch".

Wir verdanken ihr das kecke "Hexhex!" der Junghexe Bibi Blocksberg und das muntere "Törööö!" des sprechenden Elefanten Benjamin Blümchen.

Servalan 17.08.2015 14:10

Literaturblogs
 
Wer veröffentlicht wird, muß wohl oder übel mit Kritik leben.
Wer gedruckt wird, der muß Parodien, Pastiches und Hommagen verkraften können. (Ich halte das für eine indirekte Auszeichnung: Wer veralbert wird, muß vorher etwas bewirkt haben.)

Allerdings haben sich durch den technischen Maschinenpark neue Möglichkeiten jenseits des klassischen Feuilletons ergeben. Neben den Sozialen Netzwerken mit ihren Empfehlungen von und an "Follower", spielen die Kommentare auf den Seiten des größten Buchversandhändlers und Plattformen wie goodreads eine wichtige Rolle.

Wie in jedem Medium ist auch hier das Angebot durchwachsen: Die Palette reicht vom euphorischen Bauchgefühl über fundierte Rezensionen bis zu wissenschaftlich-kritischen Auseinandersetzungen, die ohne höheren Bildungsabschluß kaum zu verstehen sind.

Ein paar Hinweise:
Mein persönlicher Tip:
Bersarin: AISTHESIS | Texte zur Ästhetik, Philosophie und Kunstkritik sowie vermischte Bemerkungen

Servalan 19.08.2015 12:58

Urheberrecht
 
Ein dröges Thema, ich weiß. Wer aber mehr als hobbymäßig schreibt, sollte seine oder ihre Rechte und Pflichten kennen und zur Not wissen, wo etwas nachgeschlagen werden kann.

Wenn es um aktuelle Fassungen geht, läßt sich das UrhG online nachschlagen:
Wer lieber auf gedruckte Nachschlagewerke zurückgreift, dem empfehle ich:
  • Beck im dtv: Urheber- und Verlagsrecht (15. Auflage, Stand: 1. Oktober 2013)
  • V. Djordjevic / R.A. Gehring / V. Grassmuck / T. Kreutzer / M. Spielkamp: Schriftenreihe (Bd. 655): Urheberrecht im Alltag. kopieren, bearbeiten, selber machen, Bundeszentrale für politische Bildung 2008 (kostet 1€ + Porto, als PDF kostenlos)
  • Matthias Pierson / Thomas Ahrens / Karsten R. Fischer: Recht des geistigen Eigentums. Patente, Marken, Urheberrecht, Design (UTB 4231, Nomos 2014)

Servalan 20.08.2015 16:08

Literaturzeitschriften und -anthologien
 
Was für das Publikum wie ein Erfolg über Nacht aussieht, war in der Regel eine Ochsentour, bei der hart an den Texten (und an sich) gearbeitet wurde. Nur den wenigsten ist es vergönnt, unter Literaten und den wichtigen Leuten aus der Verlagsbranche aufwachsen. Das kann manchmal ein Vorteil sein, weil es Türen öffnet und erste Chancen bietet. Um sich auf Dauer auf dem Terrain zu behaupten, gehören jedoch Berechenbarkeit, eine gewisse Zuverlässigkeit und handwerkliche Kniffe dazu, die meist mühsam geübt werden müssen.

Deshalb beginnt der Weg in der Regel mit kleinen Veröffentlichungen in belletristischen Zeitschriften und Anthologien. Wer will, kann seine Manuskripte (vorwiegend Gedichte und Kurzgeschichten) einschicken und hoffen, daß sie von der Redaktion oder den Herausgebern ausgewählt werden.
Die Auflagen sind in der Regel winzig bis gering, als Honorar gibt es meist das obligatorische Belegexemplar. Diese Veröffentlichungen bieten aber die Chance, das eigene Werk bei Lesungen, Open-Mikes oder anderen Veranstaltungen vorzustellen.
Der Markt wandelt sich häufig, deshalb ein paar Links:

Peter L. Opmann 20.08.2015 19:59

Hat eigentlich hier jemand Erfahrungen mit dem Veröffentlichen von Literatur? Ich habe Erfahrungen, aber nur im Bereich Journalismus.

Heute habe ich eiin Interview mit Doris Dörrie gelesen, das einige der schönsten Klischees bestätigt ("Beziehungen, Geklüngel, Leichen im Keller"). Hier ist es: http://www.sueddeutsche.de/kultur/in...4?reduced=true Was bei mir die Frage aufkommen ließ: Stimmt das?

(Sorry. Ich sehe gerade, der Zugang zu dem Interview ist im Prinizip kostenpflichtig.)

Servalan 20.08.2015 21:45

Der Erfahrungsbericht von Carla Berling (Post #3) ist schon sehr ernüchternd.
Ich habe in einigen Literaturmagazinen und Anthologien veröffentlicht, nichts Großartiges. Letzten Endes spielt es bei der Masse an Texten eine wichtige Rolle, wo und von wem etwas auf den Markt gebracht wird.

Vor einigen Monaten lief ein Feature über den Buchmarkt im Deutschlandfunk, und das hat leider einige fürchterliche Klischees bestätigt. Einerseits werden dabei Promis hofiert, die weit und breit bekannt sind. Die bekommen dann ihre Ghostwriter, die den Stoff in eine lesbare Form bringen.
Andererseits fallen auch Verleger und Lektoren auf der Jagd nach spektakulären Bestsellern auf Blender, Angeber und Idioten herein. Schlimmstenfalls entstehen dabei Rohrkrepierer, deren Auflagen diskret geschreddert werden.

Peter L. Opmann 20.08.2015 22:12

Carla Berling sagte mir überhaupt nichts. Vielleicht muß ich mir das Buch mal besorgen.

Der Literaturbetrieb als solcher interessiert mich gar nicht. Wenn ein Verlag Bücher nur als Geschäft betrachten will, mag er das tun. Aber muß sich ein/e Autor/in zwangsläufig in diesen Literaturbetrieb hineinbegeben? Ich meine - Veröffentlichen in Literaturzeitschriften ist ja gut und schön, aber bringt einen nur sehr selten weiter, oder?

Servalan 21.08.2015 13:09

Niemand muß etwas. Aber gewisse Dinge lassen sich nicht theoretisch beurteilen, stattdessen muß jemand die durch Versuch und Irrtum herausfinden. Da müssen Erfahrungen gemacht werden, um zu wissen, was jemand wirklich will. Die Literaturszene vor Ort oder Foren sehe ich in dieser Hinsicht als Labore, in denen Leute mit Ambitionen experimentieren können.

Inwieweit sich das Können zur Karriere eignet, das läßt sich nur durch ein Feedback herausfinden, also ein Publikum aus Fremden und Unbekannten. Verwandte, Bekannte oder Freundeskreise scheuen vor einer ehrlichen Meinung zurück, wenn die verletzen könnte.

Qualität setzt sich nicht automatisch durch.
Es gibt keine standardisierten Protokolle, und das führt zu einer Schieflage. Einerseits stapeln sich in den Regale laufende Meter von Titel, bei denen ich es bedauerlich finde, daß dafür Bäume sterben mußten. Andererseits gibt es brillante Manuskripte, die immer im halböffentlichen Bereich bleiben und nie auf den Markt kommen.
Erfahrungen und Erlebnisse in der Literaturszene helfen dabei, seine eigenen Chancen einzuschätzen und sich ein konkretes Bild von der Situation in der Literaturbranche zu machen. Wer sich umgesehen hat, kann sich bewußt dafür oder dagegen entscheiden.

Durch die erweiterten technischen Möglichkeiten (Selbstverlag, Book-on-Demand, eBook, Kickstarter und andere Crowdfunding-Projekte) muß sich heute niemand mehr auf den offiziellen Literaturzirkus einlassen. Dessen Bedeutung ist gesunken. Aber auch in diesem Sektor werden Kenntnisse, Fähigkeiten und Eigenschaften verlangt, die jemand beherrschen sollte.
Wer sich weniger anstrengen möchte, kann ja Lotto spielen oder Lose rubbeln.

G.Nem. 22.08.2015 07:34

Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 505577)
Niemand muß etwas. (...)

Doch, ab einem gewissem Punkt im Leben musst du. Wenn es in dir ist.

Zwei Buchempfehlungen zu dem Thema:

Stephen King 'Das Leben und das Schreiben'

und unbedingt hinterher lesen

Susanna Tamaro 'Ein jeder Engel ist schrecklich'

Das Buch von der Tamaro ist aktuell (August 2015) in einer günstigen TaBu-Ausgabe erhältlich.

Peter L. Opmann 22.08.2015 09:26

Ja, in die Richtung denke ich auch. Das Ideal wäre: Der Autor schreibt etwas, um sich selbst damit auszudrücken - er artikuliert seine unverwechselbare Stimme. Kann sein, daß das keine Leser interessiert und es sich nicht verkauft - schade, aber kommt vor.

Aber wenn das, was er geschrieben hat, gut ist oder jedenfalls mit Hilfe eines Verlags Leser finden würde, aber das Manuskript in der Schublade bleiben muß, weil die Verlage nur auf Autorennamen setzen, die schon eingeführt sind oder auf sonstige Weise nur auf Rendite aus sind oder man gar nur durch Beziehungen und/oder Intrigen in den Literaturmarkt reinkommt, das ginge mir gegen den Strich.

Ich bin übrigens mit meiner Auftragsschreiberei soweit zufrieden. Es ist halt auch eine sichere Sache: Ich bekomme einen Auftrag und weiß von vorneherein, daß ich ihn erfüllen kann. Ich habe auch kein Manuskript in der Schublade, das unbedingt veröffentlicht werden müßte. Aber als Bücherleser interessiert mich der Literaturbetrieb doch.

Servalan 22.08.2015 11:45

Deshalb habe ich die Distanz zwischen Schreiben und Veröffentlichungen in der Überschrift betont. Dazwischen liegt eine unheimliche Strecke, bei der nicht immer die Besten zum Ziel gelangen.

Der Schreibimpuls ist das eine: Soweit ich das beurteilen kann, muß das eine uralte Sache sein. Den schon in den ersten Versen der Ilias von Homer sieht sich der Rhapsode als Werkzeug der Musen, denen er hilflos ausgeliefert ist und nachkommen muß.
Aber der muß kontrolliert und gezähmt werden, damit lesbare Werke herauskommen und kein idiosynkratisches Zungenreden. Wer sich in einem Maße auf Sprache eingelassen hat, daß er oder sie anderen nur schwer vermitteln kann, befindet sich in der Lage eines Menschen mit Asperger. In diesem Fall kann es Generationen dauern, bis die Mitwelt das Werk anerkennt: Die berühmteste Dichterin mit Weltliteratur in der Schublade war die Lyrikerin Emily Dickinson ...

Das Veröffentlichen, also der Schritt vom Manuskript zum Buch, verlangt andere Qualitäten. Von daher betrachtete ich einen Agenten in diesem Bereich als einen Coach. Manche Leute haben Glück und finden diese hilfreiche Unterstützung bei ihrem Lebenspartner (die berüchtigte 'Dichterwitwe') oder im nächsten Freundeskreis - siehe Eva Gabrielssons Anteil an Stieg Larssons Millennium-Trilogie.
Djian hat einer solchen Freundin in seiner Titelheldin Betty Blue ein Denkmal gesetzt.

Durch Slam Poetry hat der gesprochene Vortrag noch einmal an Wert gewonnen. Durch Audioblogs und Hörbücher gibt es hier Chancen für Leute, denen an der Sprache Elemente wichtig sind, die im Schriftlichen verpuffen oder überlesen werden.
Insofern gibt es auch den Autor als coole Rampensau, die nach Applaus hungert und erst auf der Bühne auflebt. Solche Leute können im privaten Umgang eher schüchtern sein ...

Wer sich im literarischen Markt nicht auskennt, kann sich verirren.
Was zu mir paßt oder nicht, muß ich am eigenen Leibe herausfinden. Auf dem grünen Tisch der theoretischen Spekulation bringt das nichts.

Servalan 22.08.2015 14:23

Zum 125. Geburtstag von H.P. Lovecraft
 
Lovecraft hat eine Menge geschrieben und viel veröffentlicht. Ein umfangreicher Teil seines Werks wurde allerdings erst nach seinem Tod veröffentlicht, und richtig annerkannt wurde er mit erheblicher Verzögerung. (Vor kurzem erschien eine Neuauflage von Houellebecqs Lovecraft-Essay mit einem Vorwort von Stephen King - Was für eine Kombination!)

telepolis gedenkt ihm mit einem alten Artikel:

Claus Jahnel: Das ist nicht tot, was ewig liegt... H. P. Lovecraft im Netz und anderswo - Eine aktuelle Bestandsaufnahme zum Cthulhu-Mythos (08.10.2003)

Peter L. Opmann 22.08.2015 14:31

Der kommt dem oben genannten Ideal ziemlich nahe: Hat nur in Fanzines und Pulpmagazinen veröffentlicht und war zufrieden damit. Lovecraft hat allerdings, soviel ich weiß, von einem Erbe gelebt, das trotz anspruchsloser Lebensführung am Ende seines Lebens ziemlich aufgebraucht war. Für ein Alterswerk hätte es nicht mehr gereicht.

Servalan 22.08.2015 14:50

Wenn Schriftsteller interviewt werden, fällt des öfteren der Satz: Nicht der Autor habe sich ein Thema gesucht, sondern das Thema habe sich dem Autor geradezu aufgedrängt. Der Autor konnte nicht anders und mußte schreiben ...

Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut, weil es mich überfällt, wenn mich etwas beschäftigt, es aber keine klare Lösung gibt. Ein literarischer Text erscheint dann wie die kürzeste, die prägnanteste und schlüssigste Form.
Auf diese Weise kann ich verschiedene Strategien und Wege (in den Figuren) nebeneinanderstellen und kontrastierenden, ohne platt werten zu müssen. Wegen der damit verbundenen Komplexität ist das eine Expedition ins Ungewisse, von der ich nicht weiß, ob sie mich an einen Schlußpunkt führt. Das Geschehen gewinnt eine eigene Dynamik, die sich kaum kontrollieren läßt, und die Figuren werden 'lebendig'.

Was für den einen Autor falsch und kontraproduktiv wäre, kann ein anderer als Befreiung empfinden. Menschen sind widersprüchlich ...

Peter L. Opmann 22.08.2015 21:11

Also Schreiben als ein Weg, sich die Welt zu erklären. Halte ich für legitim.

Aber welche Motive fürs Schreiben gibt's eigentlich? Schätzungsweise das häufigste ist Bestätigung, also Ruhm oder zumindest Nachruhm. Ich gestehe, wenn ich eine Rückmeldung zu einem Artikel von mir bekomme - möglichst mit dem Tenor: "Sie haben das sehr gut und einfühlsam dargestellt" -, denke ich: So soll es sein. Meistens gibt es aber keine Reaktionen, und wenn ich darauf abzielen würde, wäre das ziemlich traurig.

Geldverdienen ist auch ein wichtiges Motiv - kann ich auf jeden Fall bestätigen. Man kann seine Rechnungen bezahlen, ohne körperlich arbeiten zu müssen. Ein Onkel von mir, der Zimmermann war, pflegte mir zu sagen: Du hast doch noch nie richtig gearbeitet! Er hatte recht. Als Schriftsteller kann man sich allerdings in der Regel nicht darauf verlassen, daß man für sein Werk wirklich Tantiemen einnimmt.

Ein einfaches Motiv, das ich aber nicht unterschätzen möchte, ist, daß man eine Geschichte erzählen will. Ich glaube, viele Menschen haben den Kopf voller Geschichten - die sind halt nicht unbedingt alle zu Literatur formbar. In unseren postmodernen Zeiten, in der angeblich alle Geschichten längst erzählt sind, ist das zudem problematisch.

Ein weiteres wichtiges Motiv ist meiner Ansicht nach Selbstrechtfertigung. Es gibt unterschiedliche Sichtweisen auf Ereignisse, und ich will, daß meine Sicht sich als die gültige durchsetzt. Welche Bestätigung könnte überzeugender sein, als daß ein Verlag aus meiner Geschichte ein Buch macht? Ich glaube, das ist oft das, was unbedingt rausmuß.

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

G.Nem. 23.08.2015 08:23

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 505667)
(...)
Ein einfaches Motiv, das ich aber nicht unterschätzen möchte, ist, daß man eine Geschichte erzählen will. Ich glaube, viele Menschen haben den Kopf voller Geschichten - die sind halt nicht unbedingt alle zu Literatur formbar. In unseren postmodernen Zeiten, in der angeblich alle Geschichten längst erzählt sind, ist das zudem problematisch.(...)

Also die schreibenden Freunde von mir (und da ist auch ein Bestseller-Autoren-Paar drunter) haben immer nur aus dieser Motivation heraus geschrieben. Sie waren schon als Kinder Geschichtenerfinder. Vgl. die Funktion des Geschichten- oder Märchenerzählers in der Kulturgeschichte der Menschheit. Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen Geschichten zu hören, zu lesen und eben auch welche zu produzieren – egal in welcher Form.

Es sind noch lange nicht alle Geschichten erzählt! ;)

Servalan 23.08.2015 11:53

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 505667)
Also Schreiben als ein Weg, sich die Welt zu erklären. Halte ich für legitim.

So allgemein, habe ich das nicht gemeint. Jemanden die Welt erklären zu wollen, halte ich für vermessen. Schreiben ist (für mich) keine Offenbarung eines höheren Wesens, sondern stellt lediglich eine Weise dar, einen bestimmten Sachverhalt zu klären. Für ein Thema, dem ich mich nicht entziehen kann, stellt das eher ein Überdruckventil dar.

Insofern spielt das Dilemma der klassischen griechischen Dramen hinein. Der Keim einer Erzählung entspräche visuell einem dynamischen Netzwerk (wie einem Molekül), das ich in einer Art Brainstorming auf alle möglichen Arten analysiere.
Daß ich diese Geschichte schreibe, bedeutet aber nicht, daß ich sie auch veröffentliche. Gewisse Geschichten muß ich verfaßt haben, um mir erzählerische Kniffe, Tricks und anderes Handwerkszeug anzueignen.

Ob sie überhaupt publikumstauglich sind, entscheidet sich, wenn sie fertig sind - wenn ich sie abgeschlossen habe und nicht mehr überarbeite.

Eine der Schwierigkeiten der Literaturszene lag lange Zeit darin, daß es für mittlere Formate zwischen der Kurzgeschichte und dem Roman (Novellen, Kurzromane und ähnliches) kaum Veröffentlichungsmöglichkeiten gab. Durch die eBooks hat sich die Lage mittlerweile entspannt, aber schwierig bleibt sie trotzdem. Und die größeren Formate müssen Zug um Zug erobert werden, weil ab einer gewisse Länge, Elemente eine Rolle spielen, die bei kleinen Formaten nicht auftauchen. Erst wenn in der Rohfassung der letzte Satz geschrieben ist, habe ich einen Überblick. Und dann gilt es zu verbessern: Überflüssiges zu streichen, Umständliches zu glätten, bestimmte Teile in den Vordergrund zu stellen und andere in den Hintergrund zu rücken.
Die Balance muß subtil ausgepegelt werden, bis ich mich der "idealen Fassung" am besten genähert habe.

Servalan 23.08.2015 14:05

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 505667)
Ein einfaches Motiv, das ich aber nicht unterschätzen möchte, ist, daß man eine Geschichte erzählen will. Ich glaube, viele Menschen haben den Kopf voller Geschichten - die sind halt nicht unbedingt alle zu Literatur formbar. In unseren postmodernen Zeiten, in der angeblich alle Geschichten längst erzählt sind, ist das zudem problematisch.

Manchmal ist die Geschichte bloß das Ausgangsmaterial, und die Sprache an sich gerät in den Mittelpunkt des Interesses. Letzten Endes kann diese Methode zu komplexen Sprachkunstwerken führen, die sperrig, abweisend und auf den ersten Blick unzugänglich sind. Weder Kafka noch Proust oder Büchner sind leichte Lektüre. Jeder Satz, jede Seite, jedes Kapitel verlangt dem Publikum etwas ab. Solange sich die Mühe lohnt, ist der Aufwand gerechtfertigt.

Auf der anderen Seite wurden Werke, die keine solchen Barrieren, Hürden und Hindernisse haben, fast automatisch als leichte Lektüre oder gehobene Unterhaltung betrachtet. Erst durch die Postmoderne-Debatten hat sich der Blick geweitet. Wenn sich ein Autor weiterentwickelt, zieht das Publikum nicht immer mit, und diese Nebenwirkung kann Karrieren leicht zerstören.

Melvilles Moby Dick wäre ein klassisches Beispiel. Als der Roman erschien, war Melville ein etablierter Erzähler, den das Publikum mit unterhaltsamen Südseeabenteuern verband. Moby Dick wurde zwar veröffentlicht, fiel aber bei dem zeitgenössischen Publikum und der Kritik durch. Die Schulden dieses Desasters belasteten Melvilles restliches Leben.
Erst durch die Wiederentdeckung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch die modernen Literaten wurde das Werk rehabilitiert. Es wird anerkannt und kanonisiert.

Wer heute Vergleichbares vorhat, sieht sich einer Branche gegenüber, in der Renditeerwatungen die meisten Verlagsprogramme bestimmen. Ohne eine gewisse Bibliographie, einen gewissen Ruhm zumindest auf der lokalen Ebene oder andere Erfahrungen wird sich kaum ein Lektor, Verleger oder Herausgeber finden lassen, der das Risiko eingeht und dem Autor einen ungewöhnlich hohen Kredit einräumt. Solche Fälle kommen vor, aber sie verlangen einen entsprechenden Einsatz auf beiden Seiten.

Außerdem kann ich mir vorstellen, daß Autoren, die das Kleine Einmaleins beherrschen, mit den Rahmenbedingungen unzufrieden sind. Das Manuskript liefert die Initialzündung des Verlagsprozesses und stellt ungefähr 30 % des fertigen Buches dar. Wer dafür als Debütant mit mageren 5-8 % von den Nettoeinnahmen abgespeist wird, kann sich über den Tisch gezogen fühlen. Die fehlenden 20-25 % sollten in einem fairen Vertrag zumindest mittelfristig über andere Wege (Lesungen, Vorträge, Preise) hereinkommen.
Ich kann jeden verstehen, der sagt: "Unter diesen Bedingungen verzichte ich auf eine Veröffentlichung. Das empfinde ich als Beleidigung! Dann haben eben die Verlage und das Publikum Pech gehabt."

Servalan 24.08.2015 11:14

Auf eigene Gefahr: Literaturwettbewerbe
 
Dieses ästhetische Kräftemessen gibt es in verschiedenen Preisklassen. Der gesamte Bereich ist ziemlich unübersichtlich. Allerdings lichtet sich die Liste rasch, weil durch die Kriterien meist nur ein Teil der möglichen Konkurrenten zugelassen wird. Ein Teil dieser Bedingungen hat mit der Qualität der eingereichten Beiträge nichts zu tun:
  • Meist müssen die Bewerber in einem bestimmten Ort oder Landstrich geboren sein, dort wohnen oder eine andere Beziehung von dieser Sorte nachweisen.
  • Außerdem dürfen die Autoren in der Regel ein bestimmtes Alter (häufig 35 Jahre) nicht überschritten haben.
  • Bei einem Teil können sich Autoren selbst bewerben, bei anderen entscheidet eine Jury über die Titel (Longlist, Shortlist) - über die kann ein Publikum abstimmen.
  • In den USA sind Eintrittsgelder die Regel, im deutschsprachigen Raum kann das vorkommen.
Wer sich bewirbt, geht gewisse bindende Verpflichtungen ein, sollte der Beitrag zu den Ausgezeichneten gehören. Eine Lesung mit anschließender Diskussion stellt fast schon das Minimum dar.
In der Regel verhalten sich Moderatoren und das Publikum dabei freundlich, Kritik und bissige Anmerkungen sind jedoch nicht ausgeschlossen. Wer dünnhäutig ist, sollte deshalb lieber Abstand nehmen.

Die berühmtesten Wettbewerbe im deutschsprachigen Raum sind:
  • Ingeborg-Bachmannpreis - Tage der deutschsprachigen Literatur im Juli in Salzburg (Österreich - seit 1977).
    Der eingereichte Text (halbe Stunde) wird live vor Publikum und Kamera vorgelesen. Danach muß der Autor stillschweigend eine halbe Stunde Kritilk der Jury vertragen. Das ORF zeichnet sämtliche Beiträge auf und stellt sie online zur Verfügung. Ohne eine gewisse Erfahrung mit heftiger Kritik und einem Publikum kann diese Erfahrung vernichtend wirken.
  • Berliner open mike für Prosa und Lyrik der Literaturwerkstatt Berlin (seit 1993) im November.
    Zitat:

    Beim open mike teilnehmen können deutschsprachige Autoren, die nicht älter als 35 Jahre sind und keine eigene Buchpublikation vorzuweisen haben. Eingereicht werden können Prosa oder Lyrik, aus den anonymisierten Texten wählen 6 Lektoren aus renommierten Verlagen max. 22 Teilnehmer aus, die im November zu der zweitägigen öffentlichen Lesung des open mike - Finales nach Berlin eingeladen werden.
Unter dem Publikum dieser Wettbewerbe befinden sich etliche Leute aus der Verlagsbranche: Lektoren, Agenten und Verleger. Ein Sieg garantiert noch lange keinen Durchbruch, kann aber extrem hilfreich sein. Schon die Nominierten genießen also einen gewissen Vorteil.

Servalan 26.08.2015 14:30

Alle für einen, einer für alle: Gemeinsam anfangen
 
Die meisten Menschen werden bei ihren ersten Auftritten unsicher sein, weil sie ihre eigenen Qualitäten nicht beurteilen können. Wenn ein Text vor einem Publikum gelesen wird, zeigt sich, wo das Publikum wie erwartet reagiert und was völlig untergeht oder anders aufgefaßt wird.

Zu Beginn verhindert schon das schmale Werk eigene Auftritte allein.
Wettbewerbe (wie Poetry Slam, Open Mike) und Gruppenlesungen bieten Neulingen die Chance, sich auf der Bühne zu bewähren. Die lockere Atmosphäre in Kneipen, Kulturzentren, Lesebühnen oder improvisierten Gelegenheiten kann sich in extremen Stimmungsschwankungen äußern. Beliebte Leute können trotz schwacher Texte und einer durchwachsenen Darbietung brandenden Applaus bekommen, während bessere Werke durchfallen können. Der eigene Freundeskreis oder andere Personen, die Rückhalt bieten, sollten sich deshalb im Publikum befinden und ihren Favoriten anfeuern.

Dazu bietet sich eine Künstlergruppe, eine Schreibwerkstatt oder ein Literarischer Salon an, der mehr oder minder regelmäßig stattfindet. Dort können Texte besprochen werden, die gerade entstehen. Im Dialog können sich Autoren darüber austauschen, wie sie welches Problem anders gelöst hätten. Jeder Rat bleibt Vorschlag, den die Kritisierten annehmen oder ablehnen können. Die Sitzungen bereiten die Autoren auf diese Weise auf redaktionelle Eingriffe von Agenten, Lektoren, Herausgebern und Verlegern vor.
Mit bescheidenen Mitteln lassen sich für Schreibgruppen sogar Veranstaltungen organisieren, die für jemanden allein eine Illusion geblieben wären.

Servalan 28.08.2015 15:22

Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 505456)
Ein dröges Thema, ich weiß. Wer aber mehr als hobbymäßig schreibt, sollte seine oder ihre Rechte und Pflichten kennen und zur Not wissen, wo etwas nachgeschlagen werden kann.

Sobald wieder eine technische Neuheit auf den Markt, mußte das Urheberrecht ergänzt und den neuen Umständen angeglichen werden: Das war beim Radio so, beim Fernsehen, den Tonbändern, den Audio-Leerkassetten, den Videocassetten ... grob gesagt, wird eigentlich ständig über Verbesserungen und Modernisierungen gefachsimpelt. Die Gesetze werden jedoch nicht täglich überarbeitet, sondern in größeren Abständen.

Deshalb bieten auch Vorträge, die einige Jahre alt sind, Nicht-Juristen einen ersten Überblick und Einblick in die Materie. Hier einige online-Tipps:

Servalan 02.09.2015 14:20

Selbstverlag
 
Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 505711)
Außerdem kann ich mir vorstellen, daß Autoren, die das Kleine Einmaleins beherrschen, mit den Rahmenbedingungen unzufrieden sind. Das Manuskript liefert die Initialzündung des Verlagsprozesses und stellt ungefähr 30 % des fertigen Buches dar. Wer dafür als Debütant mit mageren 5-8 % von den Nettoeinnahmen abgespeist wird, kann sich über den Tisch gezogen fühlen. Die fehlenden 20-25 % sollten in einem fairen Vertrag zumindest mittelfristig über andere Wege (Lesungen, Vorträge, Preise) hereinkommen.

Lange Zeit galt es als literarischer Selbstmord, seine Manuskripte im eigenen Verlag unter die Leute zu bringen. Kritik und Feuilleton ignorierten solche Werke konsequent, weil es keinen Lektoren, Herausgeber oder Verleger gab, der als unbeteiligter Dritter für die Qualität (oder den Erfolg beim Publikum) bürgte.
Wer den Band von Carla Berling gelesen hat, wird erfahren haben, daß früher dabei gemauschelt wurde - und in der Weltliteratur findet sich auch der eine oder andere Fall, der das Gegenteil beweist.

Mittlerweile haben sich die Verhältnisse gebessert, so daß ein Selbstverlag (Book-on-Demand, Kickstarter und andere) als bessere Alternative erscheint. Vorsicht! Geschenkt wird niemandem etwas. Und wer sein Manuskript selbst verlegt, von dem werden dieselben Fähigkeiten gefordert wie von jedem anderen Verlag auch. Bis das Buch angeboten werden kann, wird ein gewisser Einsatz an Geld und Zeit gefordert, der in der Folge beim Schreiben fehlt.
Gerade wegen des wachsenden Angebotes wird auch hier Professionalität verlangt, und das Publikum erwartet ein Produkt, das auf dem Markt konkurrieren kann. Bevor das eBook freigeschaltet wird oder das Buch in den Handel kommt, werden auch im Selbstverlag etliche Wochen oder Monate vergehen. Ein überhasteter Schnellschuß mit dem erstbesten Cover kann das Buch leicht ins Abseits befördern, wo es vergessen wird.

Deshalb beginnt der Weg zum selbstverlegten Buch meist mit einem Grundlagenseminar (meist ein Tagesseminar von 7-8 Stunden). Etwas Nachhilfe in Sachen Recht und Steuern wird in der Regel nötig sein.
Dann müssen professionelle freie Mitarbeiter geworben und entlohnt werden. Der Rattenschwanz an notwendigen Tätigkeiten wird länger und länger ... und ob die Rechnung aufgeht, steht in den Sternen.

Der goldene Mittelweg besteht in einer gesunden Mischung beider Welten. Wer schreiben will, informiert sich über neue Möglichkeiten. Wer jedoch die Wahl hat, überläßt den leidigen Papierkrieg und das mühselige Tagesgeschaft den Agenturen, den Verlagen und dem Buchhandel.

Falls etwas mit Herzblut der Schere zum Opfer fällt, bleibt immer noch der Selbstverlag als Ergänzung für treue Fans. Ein berühmtes Beispiel ist Marc Degens' Debütroman Vanity Love (1997). Der Alkyon Verlag verlangte von ihm damals, ein Kapitel seines Romans zu kürzen, sonst gäbe es keine Veröffentlichung. Degens ließ sich darauf ein, brachte das übergangene Kapitel jedoch unter dem Titel Hure Liebe. Verschwiegene Wahrheit (1997) in eigener Regie heraus. Durch diese Stategie fällt er in die Kategorie Hybrid-Autor, die bessere Verhandlungsmöglichkeiten eröffnet.

Servalan 14.09.2015 14:22

Literaturagenturen
 
Heute weiß wohl jeder, was damit gemeint ist.
Wer schreibt, will sich am liebsten auf die Geschichte und auf die Sprache konzentrieren. Weitere Verpflichtungen lenken ab, kosten Zeit und außerdem sind die wenigsten Autoren geschickt genug, um das Beste für sich in Verhandlungen einfordern zu können. Dazu gibt es die Hilfe von Profis - wie eben den Literaturagenturen.

Diese Agenturen bieten einen gewissen Service, und dafür verlangen sie ihr Stück vom Kuchen (im allgemeinen 15-20% des Autorenhonorars) - aber zum Tanz gehören zwei. Nicht jeder Autor braucht eine Agentur, und gute Agenturen drängen sich nicht auf. Deshalb gelten für eine Agentursuche ähnliche Kriterien wie für eine Verlagssuche.
Häufig werden Agenturen von ehemaligen Mitarbeitern aus Verlagen oder dem Buchhandel betrieben. Alte Kontakte spielen eine wichtige Rolle, deshalb haben sich die meisten Agenturen auf Genres oder Themen spezialisiert. Wer sucht, sollte das Profil der Agentur mit dem eigenen vergleichen.

Verträge laufen über einen längeren Zeitraum, das heißt: Auch die Autorinnen und Autoren verpflichten sich zur Mitarbeit. Die Chemie zwischen beiden Vertragspartnern muß stimmen.
Wer bloß "den Einen Großen Roman" in der Schublade hat, sollte sich die Suche lieber verkneifen (und den lieber im Selbstverlag oder BoD herausbringen).
Das Arbeitsverhältnis ist auf Dauer angelegt.
Die Agentur muß ständig publizierbare Mauskripte haben, um verhandeln zu können. Deswegen muß stetig Nachschub produziert werden.
Wenn die Manuskripte allerdings bei der Agentur verstauben und irgendwo in einer Schublade liegen, kommt der Dienstleister seinen Pflichten nicht nach. Das sollte am besten schriftlich abgemahnt werden. Falls sich dann immer nichts ändern sollte, folgende weitere Abmahnungen. Nach einer Frist kann der Vetrag dann vorzeitig gelöst werden.

Listen von Literaturagenturen online:Im Literaturcafé befinden sich zwei nützliche Beiträge, die schon ein paar Tage alt sind:
- Wolfgang Tischer: So erkennen Sie dubiose Literaturagenten, Literaturagenturen und Zuschussverlage (19. Februar 2008)
- Wolfgang Tischer: Welche Verlage und Literaturagenten wir Ihnen empfehlen können (23. Januar 2009)

Peter L. Opmann 14.09.2015 15:11

Weiß jemand, inwieweit im Comicbereich Agenten notwendig/üblich/im Kommen sind? Bei Graphic Novels könnte ich mir das vorstellen, vielleicht auch bei Werbecomics, aber ich weiß ehrlich gesagt nichts darüber.

Servalan 14.09.2015 20:22

Wenn ich den Eintrag im ersten ICOM-Handbuch (1995, Seite 147) zurate ziehe, finde ich dort ein buntes Sammelsurium, das von klassischen Syndikaten für Zeitungscomics (King Features Syndicate, Bulls Pressedienst) über das ICOM-Zeichnerarchiv bis zu Agenturen im engeren Sinne (Becker! International, Contours Derouet/von Lonski) reicht. Von daher würde ich sagen, daß der Agenturbegriff im Comicbereich weiter gefaßt ist als in der Belletristik.

Solange Comicautoren exklusiv für ihren Hausverlag arbeiteten (wie Franquin für Dupuis oder Hergé für Casterman) waren Agenturen überflüssig. Wegen des "hire and fire" liegen die Anfänge in den USA sicher früher. Denis Kitchen gehört wohl zu den berühmtesten Comicagenten.
Welche Rolle Comicfestivals (Lucca, Angoulême und Erlangen) oder Workshops dabei spielen, das wäre sicher einen Forschungsbeitrag wert.

Peter L. Opmann 14.09.2015 22:10

Auch im ICOM-Honorare-Ratgeber könnte was drinstehen. Allerdings habe ich meine Comicsammlung nicht zur Hand, sondern einige Kilometer entfernt in einem Keller deponiert.

Ich hatte gehofft, jemand schreibt hier vielleicht mal: Ich habe einen Agenten und gute Erfahrungen gemacht. Oder: Brauche ich nicht, und ich kenne auch keinen Zeichner, der einen Agenten hat.

Servalan 15.09.2015 11:24

Die sind wohl zu beschäftigt, um überhaupt hierher zu finden.
Stell die Frage im alten CGN (unter "Comics allgemein", "Comicforschung" oder "Künstlerforen") noch einmal, dann wirst du eher Resonanz bekommen.

G.Nem. 16.09.2015 06:54

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 507070)
Weiß jemand, inwieweit im Comicbereich Agenten notwendig/üblich/im Kommen sind? Bei Graphic Novels könnte ich mir das vorstellen, vielleicht auch bei Werbecomics, aber ich weiß ehrlich gesagt nichts darüber.

In D, A und CH ist der Comicbereich so überschaubar wie die Auflagenhöhen. Da braucht man keinen Agenten. Auch nicht für Graphic Novels.

Werbecomics dagegen laufen meist über Illustrations-Agenten wie Hartmut Becker http://becker-illustrators.de/ oder Paul Derouet http://www.contours-art.de/ und Co.

Peter L. Opmann 16.09.2015 07:34

Ah, danke. Becker und Derouet sind ja bekannt - aber die scheinen demnach Ausnahmeerscheinungen zu sein.

Bleibt das Problem, daß der Comiczeichner dann selbst mit dem Verlag verhandeln muß, auch wenn er von Honorarpolitik und ähnlichem keine Ahnung hat.

Demnächst werfe ich wieder mal einen Blick in den Honorareratgeber.

G.Nem. 16.09.2015 08:22

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 507178)
(...) aber die scheinen demnach Ausnahmeerscheinungen zu sein.(...)

Nein, die beiden sind im Illustrationsbereich für Werbung etc. keine Ausnahmeerscheinungen. Es gibt in D,A und CH viele Illustrationsagenten (kann ich hier aber nicht alle listen :D )
Die Spezialität der Beiden ist aber, dass sie sich gleichzeitig auch mit dem regulären Comic-Markt im Ausland auskennen und da als Vermittler schon tätig waren.

G.Nem. 16.09.2015 08:29

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 507178)
(...)
Bleibt das Problem, daß der Comiczeichner dann selbst mit dem Verlag verhandeln muß, auch wenn er von Honorarpolitik und ähnlichem keine Ahnung hat. (...)

Über Standard-Buch-Verträge, die auch für den Comic-Bereich gelten kann man sich auch als Anfänger vorher im Netz informieren.

Sehr brauchbar (auch für Profis) ist z.B. der Börsenverein des deutschen Buchhandels unter diesem Link > http://www.boersenverein.de/de/158329
Dort findet sich reichlich Material zum downloaden.

G.Nem. 16.09.2015 08:39

Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 506283)
(...)
Mittlerweile haben sich die Verhältnisse gebessert, so daß ein Selbstverlag (Book-on-Demand, Kickstarter und andere) als bessere Alternative erscheint. (...)

Der Rowohlt-Verlag bietet jetzt seit 2 Jahren ein reines Ebook-Label an, in der auch junge Nachwuchsautoren Platz finden.
Infos siehe z.B. unter > http://www.boersenblatt.net/artikel-...ly.623654.html
Gilt bis jetzt allerdings nur für Belletristik (also die reinen Schreiberlinge) und nicht für Graphic-Novels (wenn ich das richtig sehe).

G.Nem. 30.09.2015 14:14

eBook-Veröffentlichung
 
Völlig kostenlos kann man jetzt sein Manuskript als eBook für den Tolino-Reader publizieren.

Details unter > https://www.tolino-media.de/de/Vorte...olino/So-gehts


...

Servalan 05.11.2015 15:11

Forensische Linguistik
 
Wer professionell arbeitet, muß in Übung bleiben. Blicke über den Tellerrand können sehr aufschlußreich sein.
Auf den ersten Blick richtet sich die Antrittsvorlesung des forensischen Sprachwissenschaftlers Professor Malcolm Coulthard neben seinem studentischen Publikum an Leute, die Krimis schreiben oder die einige Szenen im Gerichtssaal spielen lassen wollen.

Dabei widmet er sich folgenden Themen: Wieviele SMS brauche ich, um ein Profil erstellen zu können? Wieviele Worte braucht ein Satz, um einmalig zu werden? Wie funktionieren Plagiate? Wie können Plagiate aufgedeckt werden? Wie bringe ich das, was ich sagen will, ins Gespräch, wenn mein Gegner gar nicht an meinen Erkenntnissen interessiert ist?

Wer sich für Sprache interessiert, wird hier Material in verdichteter Form finden, das zu weiteren Überlegungen anregt. Coulthard geht über die verbale Sprache hinaus und erläutert, wie sich die Rolle als Zeuge (bzw. als Gutachter), die Architektur des Gerichtssaales, die erlaubten Mittel, um die Beweise zu erklären usw., auf das eigene Gesprächsverhalten niederschlagen.

:top: Lohnt sich. :top:

Forensic Linguist As Detective & Expert Witness: an Inaugural Lecture by Professor Malcolm Coulthard (2008, seit 2010 online - knapp 64 min) - Leider nur auf Englisch.

Servalan 07.11.2015 18:13

eBook: Ein Format in den Kinderschuhen
 
Selbst das beste Manuskript verwandelt sich nicht automatisch zum Roman, wenn es simpal als pdf formatiert wird. Wie im klassischen Literaturbereich bleiben Marketing, Vertrieb und Distribution die kritischen Punkte, die gemeistert werden müssen, wenn ein Publikum angesprochen werden soll.
Denn das Publikum kann nur entdecken, was es weiß: Es muß zumindest vom Titel gehört haben. Eine Empfehlung aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis wäre natürlich besser. Solange sich noch keine festen Strukturen etabliert haben, bleibt das Buhlen um neue Fans und Leserschichten die Hauptsache. Dabei bieten digitale Formate Chancen, die bislang ungenutzt bleiben, weil niemand das Risiko wagt. Was sich als Marketingschnickschnack anbiedert, kann zwar kurzfristig Aufmerksamkeit bekommen - allerdings verpufft die ebenso rasch wieder.

2013 wagten Andreas Winkelmann und der Rowohlt Verlag mit Deathbook ein spartenübergreifendes Experiment, bei dem das eBook als zehnteilige monatliche Serie bloß Teil eines größeren Ganzen war. Selbstverständlich wurden fb, Twitter und Blogs eingebunden, die von Autorinnen und Autoren betreut wurden, die Winkelmann vorher ausgewählt und gebrieft hatte.

"Enhanced Books" mit QR-Codes, die auf dem Smartphone oder ähnlichen Geräten zusätzliche Gimmicks bieten, können nicht das Ende der Entwicklung sein. So wie ein Film kein aufgezeichnetes Theater ist, sondern ein eigenes Medium, wird sich in den nächsten Jahrzehnten hier etwas entwickeln, das sämtliche klassischen Grenzen sprengen wird. Egal, ob es sich um Texte, Bilder, Videos, Grafiken oder Games handelt, für die Prozessoren sind das allesamt Datensätze.

Wie lange diese Entwicklung dauern wird, und wie sie sich entfaltet, darüber kann ich nur spekulieren. Aber die nachwachsenden Generationen gehen ziemlich unbefangen und spielerisch mit den Medien um.

Warum muß ein eBook auschließlich aus Text bestehen? Ich kann mir Werke vorstellen, in denen bestimmte Passagen nur als (Motion) Comic oder Audio existieren. In Joseph Conrads berühmten Roman Nostromo findet sich eine Passage, die in stockfinsterer Nacht spielt. Geister (Frankfurter Verlagsanstalt 2008) von Thomas von Steinaecker wird durch Comics von Daniela Kohl unterbrochen.

Außerdem stellt der gedruckte Text nicht immer ein Endprodukt dar, das so bleibt, wie es zum ersten Mal erschienen ist. Einige Autorinnen und Autoren verändern ihre Werke immer wieder, so daß letztlich keine Fassung der anderen gleicht. Der gemeinsame Titel täuscht also über Wechselbälge hinweg. Ein prominenter Vertreter dieser Arbeitsweise war Ernst Jünger, dessen In Stahlgewittern (die erste der zwölf Fassungen erschien 1920) von Klett Cotta 2013 mit einer historisch-kritischen Ausgabe gewürdigt wurde.
Eine digitale Fassung könnte dem Publikum von vornherein eine Wahl bieten: Willst du die jeweils aktuelle Fassung (mit oder ohne Updates)? Willst du Zugriff auf alle Endfassungen? Willst du eine Ausgabe mit Ergänzungen (Interviews, Berichte, Werkstattberichte, verworfene/gekürzte Stellen)?

Hier wäre noch vieles möglich.

Servalan 08.11.2015 13:56

SLAM 2015 - die deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften
 
http://www.slam2015.de/

Wie bei jeder sportlichen Angelegenheit, gibt es auch beim Poetry Slam Meisterschaften: EinsPlus präsentiert heute zur besten Sendezeit um 20:15 - 21:45 Uhr (also gegen den neuesten Thiel/Boerne-Tatort) das Finale. Keine Sorge, wer die Sendung verpaßt hat, für den gibt es Wiederholungen.
Zitat:

"PULS" präsentiert: Slam 2015 - den größten Dichter-Wettkampf dieser Art im deutschsprachigen Raum. Rund 180 der besten Slammer/innen aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und der Schweiz treten bei den 19. deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften 2015 an. Slam 2015, der größte Dichter-Wettkampf dieser Art im deutschsprachigen Raum, wird vom 3. bis 7. November in Augsburg ausgetragen. In Vorrunden und Halbfinals kämpfen sich die Poetinnen und Poeten in das Finale vor. Neben dem Einzelwettbewerb gibt es einen gesonderten Teamwettbewerb. Beim Einzelfinale am 7. November buhlen die neun besten Slammerinnen und Slammer aus den Vorrunden um die Gunst der Publikumsjury. Wer wird der oder die beste Slammer/in Deutschlands 2015? Die von "PULS", dem jungen Programm des BR produzierte, 90-minütige Highlight-Sendung wird es klären.
09.11.2015 | 02:00 Uhr | EinsPlus
SLAM 2015 - die deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften
Das Finale im Einzelslam aus Augsburg

09.11.2015 | 18:45 Uhr | EinsPlus
SLAM 2015 - die deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften
Das Finale im Einzelslam aus Augsburg

09.11.2015 | 22:30 Uhr | Einsfestival
SLAM 2015 - die deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften
Das Finale im Einzelslam aus Augsburg

27.11.2015 | 01:00 Uhr | Einsfestival
SLAM 2015 - die deutschsprachigen "Poetry Slam"-Meisterschaften
Das Finale im Einzelslam aus Augsburg

Servalan 20.11.2015 19:11

Die zwei Stimmen des Erzählens
 
Geschichten können auf vielerlei Weisen in die Binsen gehen. Letztlich hilft da nur ständige Übung. Fehler zu machen, ist keine Schande; wer jedoch daraus lernt, vermeidet sie beim nächsten Mal.

Besonders Anfänger können ihre eigenen Werke kaum einschätzen. Ein richtiges Probepublikum, das hilfreiche Anmerkungen und Kommentare gibt, kann dabei helfen. (Freunde, Verwandte und Bekannte dürften in den wenigsten Fällen geeignet sein: Entweder loben Alles über den grünen Klee oder sie sind nie zufrieden zu stellen.)

Wer sich bestimmter Grundlagen bewußt ist, kann besser einschätzen, wie eigene Texte wirken. Geschichten sind nämlich spezielle Texte. Und die ersten Versuche dürften bei den meisten kläglich scheitern. (Später berühmt gewordene Autorinnen und Autoren bilden keine Ausnahme.) Was ist das Besondere am Erzählen?

Jede Geschichte hat zwei Ebenen. Bei den Genres historischer Roman oder Science Fiction und Fantasy sticht das geradezu ins Auge.
Aber die Regeln gelten für alle erzählten Werke: Auf der obersten Ebene spricht die Autorin (oder der Autor) zu seinem Publikum, auf der Ebene darunter sprechen und handeln die Figuren in ihrer Welt. Beide Ebenen müssen ins Gleichgewicht gebracht werden, damit das Publikum bei der Stange bleibt.
Eine reale Geschichte aus dem antiken Ägypten oder von einer Nicht-menschlichen Spezies wäre unverständlich, einfach weil das fremde Welten sind. Beim Schreiben sind gewisse Kompromisse unvermeidlich, wenn das Werk verständlich bleiben soll. (Große Sprachkünstler dürfen weniger Rücksichten nehmen. Dennoch sollten die Regeln bekannt sein, bevor sie bewußt gebrochen werden.)

Wenn jemand mit Verve begeistert eine Zeile nach der anderen zu Papier (oder auf den Monitor) bringt, heißt das noch lange nicht, daß das Publikum diese Begeisterung auch spürt.
Ein anderer Fehler besteht darin, sich in die erzählte Welt zu verlieben und sie so detailreich zu schildern, daß das Publikum sich irgendwann gelangweilt ausklinkt.

Der Kulturwissenschaftler Walter Ötsch hat 2012/2013 am ICAE in Linz eine Einführungsveranstaltung über "Welt-Bilder" von der Antike bis in die Gegenwart geliefert. Sie liefert gute Anhaltspunkte für eigene Gedanken.

Servalan 25.11.2015 16:51

"Wie im echten Leben!"
 
Bei meinen Lesungen wunderte ich mich des öfteren, wie wenige Andeutungen genügten, um das Publikum vom "Realismus" der Geschichte zu überzeugen.
Punkt, Punkt, Komma, Strich - das reichte vollkommen aus, schon entdeckten die meisten Zuhörer ein Gesicht.

Wer zuviel erklärt, langweilt das Publikum oder verärgert es sogar. Lesen (und Zuhören) ist etwas Aktives, und das Publikum will sich beteiligen, weil es sich die Story auf diese Weise aneignet und so zu seiner eigenen macht.

Menschliche Wahrnehmung ist eine kompexe Sache, die für Laien ziemlich kompliziert werden kann. Dennoch sind gewisse Grundlagen für Autorinnen und Autoren unvermeidlich, zumal die dann mehrfach zum eigenen Vorteil eingebracht werden können.
  • Es liefert eine Richtschnur dessen, was bei der Bearbeitung des Manuskripts als überflüssig gestrichen und gekürzt werden kann.
  • Wenn jemand mit Agenturen, Verlagen, Redaktionen und Herausgebern arbeitet, hilft dieses Wissen, eigene Gefühle mit stichhaltigen Argumenten zu unterfüttern. Im Vordergrund steht dabei die Gestaltung des Produkts Roman (Cover, Typographie, Seitenlayout usw.).
  • Wenn jemand im Eigenverlag all diese Kosten vorsteckt, kann die Qualität der Mit- und Zuarbeiter besser beurteilt werden. Es schützt davor, von Fachleuten aus dem Bereich über den Tisch gezogen zu werden.
Natürlich muß niemand zum Experten (oder zur Expertin) werden, ein Crashkurs am Wochenende reicht allemal. Wer mehr wissen möchte, wird sich früher oder später sowieso aktuelle Fachbücher (Design, Werbung, Marketing und PR) besorgen - oder sie aus einer Bibliothek ausleihen.

Als Schnupperkurs biete ich eine Vorlesungsreihe von Dr. Falk Richter an, der 2015 für ein Fernstudium entstanden ist:Sowie:
Unimedizin Mainz 2014: Kunst und Wahrnehmung - Wahrnehmungsvorgänge (1:37 Stunden)

Servalan 01.12.2015 15:47

Do-It-Yourself: Den eigenen Verlag gründen
 
Wer sein eigenes Ding unter Kontrolle behalten will und bestimmte Vorstellungen hat, wie das fertige Buch aussehen soll, kann mittlerweile alles selbst machen. Inzwischen hat der Eigenverlag, Selbstverlag bzw. das Self-publishing den Ruch verloren, ein skurriles Hobby für hoffnungslose Dilettanten und Amateure zu sein, die bestenfalls mitleidig belächelt werden. Allerdings werden dann auch professionelle Standards verlangt.

Wolfgang Tischer bietet beispielsweise regelmäßige Seminare zu dem Thema an.
http://www.literaturcafe.de/e-book-seminar-stuttgart/

Irgendwie muß das Buch in die Hände des Publikums gelangen. Konkrete Tipps und Ratschläge sind wesentlich hilfreicher als die hippen Plastikwörter des Marketing-Sprech. Der Weg zum eigenen Verlag führt deshalb über mehrere Stationen und verlangt etliche Qualitäten jenseits des Schreibens, die andernfalls von Agenturen und Verlagen eingebracht werden. Etliche Teile sind gesetzlich und vertraglich geregelt.

Zunächst sollte kalkuliert werden, ob sich der Aufwand für das geplante Manuskript überhaupt lohnt. Diverse Seiten erläutern die einzelnen Schritte und helfen bei der Kalkulation:
  • Börsenverein des deutschen Buchhandels: Verlagsgründung mit Linkliste zum Download (Link)
  • Heike Thormann: In 10 Schritten einen Selbstverlag gründen (12. Oktober 2012)
  • Handelskammer Hamburg: Existenzgründung und Unternehmensförderung. Gründung eines Verlages (HK Hamburg)
  • Charlotte Schmidt (Haus der Literatur): "Kapitel 4 - Selbstverlag: Von Nutzen und Nachteil des eigenen Unternehmens", aus: Wissen kompakt für Autoren: Verlagssuche. Alles, was Sie zum Thema Schreiben und Veröffentlichen wissen müssen (2007)
  • Buchwerft: Wissen für Selbstverleger: Wie gründe ich meinen eigenen Verlag? (26. März 2014)

Einfach schnell geht das nicht.
Sehr wahrscheinlich dauert der gesamte Prozeß fast so lange (oder länger) wie die Suche nach einer Agentur und/oder einem Verlag, bei dem beide Parteien zufrieden und glücklich sind.
Wer hier pfuscht, landet unsanft auf dem Boden der Tatsachen.

Nach solch einem Seminar werden die Illusionen verflogen sein. Und wer sich danach entscheidet, von solch einem Unternehmen die Finger zu lassen, wird den Anteil der übrigen Helfershelfer im Buchhandel (Agentur, Verlag, Lektorat, Grossist und Buchhandel) am Erfolg des Werks besser zu schätzen wissen.

Servalan 13.12.2015 15:32

Klein, aber fein: Zines
 
Bei all der Begeisterung für die (neuen ?) digitalen Formate darf eines nicht übersehen werden: Technisch beschränkt sich der Handel auf einen höchst individualisierten Zugang (Access), also muß das Publikum das Buch ausdrücklich anfordern. Und selbst dann besteht die Gefahr, daß der Vertriebspartner plötzlich den Access unterbindet und die Datei löscht.
Als Amazon 2009 ohne Vorwarnung George Orwells 1984 vom Kindle löschte, rauschte es im Blätterwald und Jeff Bezos mußte sich entschuldigen.

Durch diese rechtliche Zwangslage, bei der das Publikum noch nicht einmal Sicherheitskopien für den eigenen Gebrauch anfertigen darf, verlieren vor allem nicht-etablierte Autorinnen und Autoren klassische Möglichkeiten, bekannt zu werden:
Verliehene Bücher kommen in den seltensten Fällen zurück.
Außerdem können Exemplare verschenkt, gespendet, vererbt oder irgendwo vergessen werden (Buchtauschringe).
Für eBooks gibt es bestenfalls eine Art lebenslanges Leasing.

Im angelsächsischen Bereich floriert eine bunte Zine-Kultur: Lose erscheinende Zeitschriften, Künstlerbücher und Magazine in winziger Auflage bilden einen Grauen Markt, teilweise unter dem Radar des etablierten Marktes. Ein Privatdruck kann so als Visitenkarte fungieren und zum Beispiel anderen Leuten in der Literaturbranche zeigen, daß jemand sein Handwerk versteht. Wenn das Konzept überzeugt, findet sich womöglich ein Mäzen oder Sponsor.

Beiträge für Zines lassen sich innerhalb einer Community tauschen, so daß ein weiteres Erscheinen gesichert werden kann. Zu den unschlagbaren Vorteilen der marginalen Werke gehört der Papiercharakter: sie können signiert werden, zum Beispiel bei Lesungen oder Workshops. Wenn eine Gruppe gemeinsam eines oder mehrere Zines hergestellt, kann das Ereignis für ein Event genutzt werden und als kleines Festival oder im Beiprogramm einer größeren Veranstaltung (wie zum Beispiel Ladyfest oder Konzerte) eine Bühne bieten.

Wer Englisch kann, findet etliche Ratgeber für diese kleine Nische:
  • Aimee Cliff: "How To Make A Zine For The Internet Age", in: The Fader (2015)
  • Patrick Ilagan: "7 Reasons Why You Should Make A Zine", in: ucreative (2015)
  • Emma Dajska: "How to Make a Zine. Zine-making isn’t about rules or knowledge; it’s about freedom and POWER", in: RookieMag (2012)
  • Corinna Kirsch: "What You Need to Know about Comics and Zine Self-Publishing", in: The L Magazine (2012)
  • ZineWiki: http://zinewiki.com/Zine
Siehe auch:
  • Jens Neumann (Hg.): Fanzines. Wissenschaftliche Betrachtungen zum Thema, Ventil Verlag 1997
  • Jens Neumann (Hg.): Fanzines 2. Noch wissenschaftlichere Betrachtungen zum Medium der Subkulturen, Ventil Verlag 1999
Wenn alles geklappt hat, können sich Zines wie (gutartige) Viren verbreiten.
Viel Spaß!

Peter L. Opmann 13.12.2015 16:12

Hatten wir hier schon das Thema "Heftromane" (also "Groschenromane")? Ich bin vor ein paar Tagen mit dem Thema unversehens in Berührung gekommen (nicht zum ersten Mal freilich). Es ist vielleicht nicht ganz uninteressant, denn im Gegensatz zur "gehobenen" Literatur kann das häufiger ein Broterwerb sein. Und man hat deutlich mehr Leser, denn Heftromane werden tatsächlich gekauft, um gelesen zu werden - nicht um sie ins Regal zu stellen. Allerdings wirft man sie oft auch nach dem Lesen weg...

Im Zuge meiner Beschäftigung mit dem Thema bin ich auch auf einen Ratgeber für angehende Heftromanschreiber gestoßen: "Heftromane schreiben und veröffentlichen" von Anna Basener (2010). Das gilt wohl als Standardwerk, wobei die Autorin selbst sowas schreibt und zwar wohl schwerpunktmäßig Liebesromane. Ihre Tips sollen aber auf Krimis, Western, Science Fiction oder Gruselromane grundsätzlich übertragbar sein.

Das ist ihre website: www.heftromaneschreiben.de

Servalan 15.12.2015 13:49

Nur zu, mich interessiert das Thema auch.
Leider habe ich keine Aktien in Sachen Heftromane, und ohne Erfahrung fehlt mir da die Expertise. Ich könnte nur aus zweiter Hand referieren (zum Beispiel die Uschtrin-Empfehlungen wiederkäuen), also lasse ich das lieber.

Wenn ich Tipps und Ratschläge gebe, speise ich meine eigenen Erlebnisse und Kenntnisse aus der Literaturszene ein. Nach Möglichkeit aktualisiere ich mein Wissen und passe es an die jetzigen Anforderungen an.
Ich möchte die Rubrik nicht mit Bullshit vollmüllen, sondern lieber gezielt vorgehen. Ich bin nicht allwissend, und Spam es schon genug.
Solange es keine neuen Entwicklungen gibt, lasse ich den Thread lieber ruhen. Dadurch wird wohl zeitweise der Eindruck entstehen, die Rubrik wäre eingeschlafen. Aber das halte ich für die bessere Alternative.

Außerdem kann jeder etwas beitragen, der andere an seinen Freuden und Leiden teilhaben lassen will. Das ist ein offenes Forum, und ich höre gern zu (bzw. lese mit), wenn ich etwas lernen kann.

Peter L. Opmann 15.12.2015 15:44

Ich muß gestehen, ich bin auch nicht so der Heftroman-Leser. Ich habe schon einiges über "Perry Rhodan" gelesen, zuletzt "Perry Rhodan. Analyse einer Science-Fiction-Romanserie" von Claus Hallmann (1979; wohl eine Doktorarbeit). Aber zu der Serie selbst habe ich nie recht einen Zugang gefunden.

Das Jerry-Cotton-Buch von Martin Compart (2010) fand ich auch sehr interessant. Cotton-Romane kenne ich zumindest etwa eine Handvoll, aber ich denke mitreden kann man erst, wenn man zumindest ein paar Dutzend gelesen hat.

Ein bißchen Erfahrung habe ich mit "Dämonenkiller", "Mythor" und "Maddrax" (daran schreiben Leute, die ich kenne, mit). Aber die Betonung liegt auf "ein bißchen".

Die meisten Heftromane sind wohl in sich abgeschlossen. Man hat es also wohl potentiell mit der ewigen Wiederkehr des Immergleichen zu tun. Das gilt aber für "Rhodan" offenbar nicht, sondern der bietet eine eigene Welt, die sich ständig verändert und entwickelt. Aber wie ich höre, braucht man hier auch eine Weile, bis man sich eingelesen hat - die Geduld hatte ich nicht.

Servalan 15.12.2015 16:57

Wichtig: Umgang mit Kritik
 
Sobald ein Werk ein veröffentlicht ist, fängt es ein eigenes Leben an. Dabei ist es schnurz, ob es sich um eine Kurzgeschichte, einen Roman oder ein Sachbuch handelt. Wenn es vekauft oder verschenkt worden ist, entgleitet es den Händen des Autors. Später können diese Werke an den unmöglichsten Stellen auftauchen.

Bei uns gilt die Kunst- und Meinungsfreiheit. Wer will, kann die abstrusesten und bizarrsten Bücher fabrizieren. Vielleicht findet sich ein Publikum, vielleicht auch nicht. Und wer ein Buch erworben oder geschenkt bekommen hat, kann damit machen, was er oder sie will: Es lesen, es nicht-lesen, mit ihm ein Regal schmücken oder es als Keil für wacklige Möbel nutzen.
Außerdem besitzt das Publikum das Recht, das Buch nicht zu mögen oder es zu hassen. Kein Autor hat das Recht, ein bestimmtes Verständnis seines Werkes einzuklagen. Wer krampfhaft versucht, sein Publikum zu kontrollieren, macht sich bestenfalls zur Witzfigur. Schlimmstenfalls geht die Reputation baden, und die Karriere verschwindet im Orkus.

Niemand kann gute Rezensionen einklagen. Verrisse sind Berufsrisiko.
Wer wie John Asht (Twin-Pryx-Trilogie beim Roder Verlag) 2012 eine bösartige Verschwörung eines ominösen Rezensenten-Kartells wittert, wird zum Gespött.
Vorsicht, die Branche hat ein langes Gedächtnis.

Jede hinterlistige Manipulation fliegt früher oder später auf. Wer Empfehlungen auf A***** oder Follower bei T****** kauft, wird irgendwann ertappt. Dann fühlt sich das Publikum zurecht über den Tisch gezogen, und die gutgemeinten Tricks und Kniffe richten beträchtlichen Schaden an.
Spätens nach dem eigenen Tod verliert auch der erfolgreichste Schriftsteller (wie zum Beispiel Günter Grass) die Definitionshoheit über sein Werk.

Das Beste ist, gute Miene zum gemeinen Spiel zu machen und zu schweigen.
Wer will, denkt sich ihren oder seinen Teil.
Ich habe mich manchmal gewundert, was Rezensenten in meinen Werken alles entdeckt haben. Und wenn mich jemand aus der Literaturszene parodiert hat, habe ich das als Ehre empfunden und nicht tränenreich ob meiner verletzten Eitelkeit geschmollt.

Der größte Teil des Veröffentlichten wird glücklicherweise vergessen.
Klassiker sind rar und kostbar.
Ein kleiner Trost: Gute Werke können wiederentdeckt werden.

michidiers 17.12.2015 08:32

Interessantes Thema, das ich soeben erst hier gefunden habe!

Ich freue mich schon auf weitere, lehrreiche Aspekte hinsichtlich der Buchveröffentlichung.

Servalan 22.12.2015 17:29

Selbstkritik, Lampenfieber und die Bühnenpersönlichkeit
 
Allgemein lautet das Vorurteil über Leute, die "etwas mit Medien" machen ja, folgendermaßen: Das sind eitle Gecken und oberflächliche Narzissen, die im Scheinwerferlicht bewundert werden wollen. Ungeachtet ihrer wahren Qualitäten möchten sie von ihren Fans, vom Publikum und der Presse gefeiert und auf Händen getragen werden, Autogramme verteilen und sich wichtig fühlen.

Okay, solche Leute gibt es wohl. Leider.
Häufig geht das Klischee jedoch an der Wirklichkeit vorbei. Und manche Kreative entscheiden sich bewußt für Tätigkeiten im Stab, hinter der Kamera oder im Schatten der Bühne: Cutter bei Film und Fernsehen zum Beispiel, Kostümbildner und Requisiteure oder Leute, die künstlerische Veranstaltungen aller Art organisieren.

Schreiben ist in der Regel ein einsames Geschäft. Wer sich mehr als hobbymäßig engagiert, muß gut und gerne mit sich alleine auskommen.
Von daher kann diese ausgiebige Tätigkeit mit Stift und Papier, mit Monitor und Drucker auch den entgegengesetzten Effekt haben.

In der Dr Who-Episode "Das Einhorn und die Wespe" zweifelt Agatha Christie an ihren künstlerischen Fähigkeiten, tut ihre Werke leichtfertig ab und hält die Bewunderung des Doktors und Donnas für ungerechtfertigt.
Wäre es nach Franz Kafka gegangen, dann gäbe es heute kein Werk, weil außer seinen wenigen zu Lebzeiten veröffentlichten Texten alles verbrannt worden wäre.

Manchmal sind Schreibende dermaßen selbstkritisch, daß jemand von außen eingreifen und ihnen zu ihrem Glück verhelfen muß: Ohne Eva Gabrielsson wäre Stieg Larsson als engagierter schwedischer Journalist gestorben. In Phlippe Djians Bestseller Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen fördert Betty Blue ihren Geliebten, den Schriftsteller Zorg, indem sie seine Manuskripte ohne sein Wissen an Verlage schickt.

Selbst große Tourneen von bekannten und berühmten Autoren sollten nicht über die Realität wegtäuschen. Bühnenauftritte sind zum Glück befristet, mal dauern sie fünf bis fünfzehn Minuten, schlimmstenfalls anderthalb Stunden bei der Wasserglas-Lesung mit Publikumsgespräch.
Auftritte können geprobt, Texte sorgfältig präpariert werden. Meist verändert sich die Stimme, wenn das Mikrofon an ist, und gewinnt eine eigene Dynamik. Ob die bewunderten Autorinnen und Autoren schüchtern sind oder nicht, das bleibt allen Anwesenden verborgen.

Im Grunde handelt es sich um das gleiche Phänomen wie beim unglaublich traurigen Mann, der zum Arzt kommt. Der Klagende vergeht vor Schmerz, als er dem Mediziner sein Leid klagt. Der rät ihm: "Im Moment gastiert ein Zirkus mit dem Berühmtesten aller Clowns. Raffen Sie sich auf. Besuchen Sie eine Vorstellung. Sie werden es nicht bereuen." Der traurige Mann starrt ihn ausdruckslos an. "Einen Versuch können Sie ruhig wagen."
Tränen kullern über die Wangen, als der Traurige schluchzend sagt: "Dieser Clown ... das bin ich."

Peter L. Opmann 22.12.2015 18:00

Naja, ich hoffe, es kommt nicht allzu häufig vor, daß ein Schriftsteller wie ein Clown auftritt. :D

Menschen sind soziale Wesen, und ein gewisses Mitteilungsbedürfnis ist normal. Ich will es auch noch gelten lassen, wenn man nicht einen guten Freund zum Tee einlädt und ihm das erzählt, was man auf dem Herzen hat, sondern sich vielleicht monatelang in sein Studierzimmer setzt und einen Roman schreibt, den dann vielleicht nicht die Freunde, sondern vielmehr wildfremde Menschen lesen. Wenn man etwas Wichtiges zu sagen hat.

Aber die Schwelle zum Narzissmus ist da meistens nicht fern. Man sollte sich vor allem gut überlegen, ob man das Schreiben zum Beruf machen soll, denn wer weiß, ob er genug zu sagen hat, daß es für ein Arbeitsleben reicht.

Mindestens ebenso schlimm ist es mit Leuten, die ständig Internetforen mit ihren Auslassungen und Kommentaren vollschreiben müssen... ;)

P.S.: Mir fällt dazu noch Kurt Vonnegut jr. und sein Roman "Schlachthof fünf" ein. Der erste Teil des Buchs handelt hauptsächlich von der Entstehung des Buchs. Vonnegut, der als Kriegsgefangener die Bombardierung von Dresden miterlebt und überlebt hat, trug nach eigener Aussage jahrelang Pläne für sein "berühmtes Buch über Dresden" mit sich herum. An einer Stelle schrieb er dann mal: "Aber mir fielen nicht genug Worte dafür ein". Letztlich hat er das Buch doch geschrieben, und es ist ein sehr gutes Buch geworden. Aber diese Selbsterkenntnis fand ich bemerkenswert!

Servalan 23.12.2015 12:42

Beim Schreiben spielen etliche Details eine Rolle, die sich bewußt kaum kontrollieren lassen.
In diversen Biographien habe ich gelesen, daß sich Schriftsteller auch noch nach Jahrzehnten als Anfänger fühlen und ständig etwas dazulernen.
Je länger ein Text ist, desto mehr unkontrollierbare Elemente enthält er. Selbst winzige Änderungen können sich auf eine Strecke auswirken, die niemand in einem Rutsch lesen kann. Und Romane können sich unter Umständen mehrere Jahre in der Werkstatt befinden.

Konkret läßt sich dieser Effekt erkennen, wenn jemand ältere Geschichten oder Gedichte aus eigener Feder liest: Häufig ist das nur peinlich, und diejenigen sind froh, den jeweiligen Text nicht veröffentlicht zu haben.
Oder der Text ist richtig gut. Ich habe mir dann verwundert die Augen gerieben und gedacht: "Das soll ich verfaßt haben? Das stammt von mir. Unglaublich."

Darin sehe ich ein Gegengift zum Narzissmus.
Wenn dann noch Lesungen so organisiert sind, daß der Autor oder die Autorin auf der Bühne vom Spotlicht geblendet ist und das Publikum in der Finsternis verschwindet, schützt das vor einem aufgeblasenen Ego.
Lampenfieber sorgt für übrigens für einen Tunnelblick.
Außerdem haben Musiker und Schauspieler höhere Chancen, zu Stars oder Sternchen zu werden. Bei Autoren kommt das seltener vor, und meist stehen über längere Sicht sowieso die ausgedachten Figuren im Vordergrund: Wer von Scarlett O'Hara schwärmt, kennt nicht notwendigerweise Margaret Mitchell ...

Ich bin zufrieden, wenn meine Texte ohne mich auskommen.
Es sind nämlich die Texte, die sich bewähren müssen, ohne jeglichen Popanz. Als Autorin bin da nur ein Medium, eine Botin.

Servalan 05.01.2016 16:13

Mythen und Legenden: "Mein Bestseller in der Schublade"
 
Viele Leute behaupten, sie könnten einen Roman erzählen.
Obwohl nur Worte aneinander gereiht werden, verlangt das schwere Handwerk eine sportliche Kondition. Ausdauer ist mehr gefragt als Sprintqualitäten. Insofern hat jede und jeder, der ein Manuskript verfaßt hat, meine Hochachtung verdient.

Auf zahlreichen Buchveranstaltungen, wo Verlage und Verleger anwesend waren, konnte ich jedoch erleben, wie sich junge Talente selbst sabotierten. Wer an die Öffentlichkeit will, muß von seinem Werk überzeugt sein und darf sich nicht kleinreden lassen. Absagen und Verrisse kommen sowieso. Insofern werfe ich niemandem etwas vor, der offensiv wirbt.

Peinlich wird es bei dem Spruch: "Das muß unbedingt zur nächsten Buchmesse erscheinen. Das ist ein wichtiges Buch. Das ist ein Bestseller. Ich habe alles absolut richtig gemacht. Der Roman braucht kein Lektorat mehr. Druck mein Werk und bringe es in jede Buchhandlung der Welt."
Und falls der Verleger, die Lektorin oder ein Herausgeber auf dem Teppich bleibt und sagt, das sei ein alter Hut und andere hätten das schon besser geschrieben - tja, dann schimpft der Abgewiesene wie ein verschmähter Liebhaber, wie ein betrogener Idealist.
Der Typ mit dem Manuskript zieht dann weiter und sucht sich das nächste Opfer.

In der Regel haben die Leute aus der Verlagsbranche recht.
Manche Stoffe und Themen liegen in der Luft, deshalb rate ich lieber zur Zurückhaltung. Wer sagt, sein Werk sei einzigartig, setzt die Latte so hoch, daß sie fast automatisch gerissen wird. Die Idee und das Konzept bilden nur den Grundstock. Wichtig ist die Ausführung. Bei Debütanten zählen jeder Makel, jede Schlamperei und jede Unterlassung doppelt und dreifach.

Schnellschüsse in der Verlagsbranche sind meist Zweitverwertungen: Kompilationen von journalistischen Artikeln, wissenschaftlichen Beiträgen oder Kurzprosa, die sich in Jahren angesammelt haben. Das Manuskript muß in jedem Fall überarbeitet werden, und bis daraus ein Buch geworden ist, dauert es mindestens vier bis sechs Monate.
Schließlich muß der Buchhandel ja irgendwo erfahren, daß der Titel erscheinen wird. Werbung und PR verlangen einen Vorlauf, sonst katapultiert sich der Titel ins Abseits.

Im Windschatten eindrucksvoller Bestseller (Harry Potter, Hunger Games usw.) wird das deutlich. Niemand schreibt einen Roman von 400 bis 600 Seiten über Nacht - und nicht alle jungen Autorinnen und Autoren sind blasse, blutleere Epigonen eines vermeintlichen Erfolgsschemas.
Hier möchte ich Rezensenten und Kommentatoren in die Pflicht nehmen: Besonders die großen Verlagshäuser wollen Modeströmungen ausreizen, solange sie lukrativ sind. Wer das Pech hat, findet sich zwischen Scylla und Charybdis wieder. Wenn der Verlag unbedingt ein bestimmtes Publikum ansprechen wird, werden die Autorinnen und Autoren vor die Wahl gestellt: Entweder wird das Manuskript so getrimmt, daß die Ähnlichkeiten mit dem Bestseller betont werden - oder der Vertrag platzt.
Zähneknirschend beißen die jungen Talente in den sauren Apfel.

Wenn jemand dann nach Jahren eine Fanbasis gewonnen, das Lob der Kritik erhalten hat und die Zahlen stimmen, dann besteht die Chance auf eine Neuauflage.
Durch Selbstverlage und eBooks besteht heute eine zweite Chance für Bücher, bei denen Verlage kein Interesse mehr an Nutzungsrechten haben (meist nach zwei bis fünf Jahren). Der Autor oder die Autorin kann das Werk dann in einer verbesserten Fassung neu herausgeben.

Servalan 17.01.2016 14:00

Erste Erfolge richtig nutzen
 
Mühsam nährt sich das Eichhörnchen: Die ersten gedruckten Arbeiten, die in den Handel gelangen, werden bei den meisten Gedichte oder Geschichten von wenigen Seiten in Zeitschriften oder Anthologien sein. Open Mikes, Slam Poetry oder gemeinschaftliche Auftritte als Autorengruppe bieten ähnliche Formate. Manches kommt gut an, anderes verhallt sang- und klanglos. Wer lieber längere Werke verfaßt, wird später auf Ausschnitte aus Romanen umschwenken.

Allerdings lauern in dieser Phase des blassen Vorruhms Gefahren, die sich später nachteilig auswirken können. Ein wenig Büroarbeit verschafft hingegen Übersicht und hilft dabei, die nächsten Stellen auszuwählen.

Selbst der beste Text braucht sich auf, wenn er dem selben Publikum zu oft präsentiert wird.
Notiert euch bitte in einem Notizbuch oder in einer Datei, wann und wo ihr welche Texte veröffentlicht habt, damit ihr jederzeit nachsehen könnt, was wo von euch vorliegt. Ihr werdet verblüfft sein, wie schnell das unübersichtlich wird.
Lesungen sind Veröffentlichungen, deshalb gilt für Auftritte dasselbe. Eure Highlights könnt ihr eine Weile auf einer Tournee vorlesen, danach solltet ihr das Programm wechseln. Die besten Texte eignen sich später für Zugaben.

Außerdem bieten diese Liste eine Grundlage, sich Verlagen oder Agenturen zu präsentieren, indem sie Erfolge so konkret belegen, daß sie sich nachprüfen lassen.

Innerhalb einer Autorengruppe oder im Vier-Augen-Gespräch mit einer vertrauten Person kann diese Bibliographie für eine interne "Manöverkritik" genutzt werden. So könnt ihr durchsprechen, wie die einzelnen Geschichten funktionieren, wo sie sich ähneln und was sie voneinander unterscheidet.
Wenn ihr genügend Abstand zu euren Werken habt, könnt ihr das auch allein machen.
Bei den Nachgesprächen solltet ihr auf zwei Dinge achten:
  • Funktionieren eure Texte immer nach demselben Prinzip, nach derselben Masche? Dann versucht in neueren Texten, aus der Masche auszubrechen.
  • Entwickelt sich im Laufe der Zeit eine eigene Handschrift, ein eigener "Sound"? Macht euch damit vertraut. Dann wißt ihr, wie ihr tickt, und könnt auf einer höheren Ebene damit arbeiten.

Servalan 11.02.2016 17:12

Aus dem Nähkästchen geplaudert
 
Nach der klassischen Wasserglaslesung können Fragen gestellt werden, doch dieses Nachhaken kratzt nur an der Oberfläche. Wer sich dafür interessiert, wie der Literaturbetrieb beziehungsweise das Marktsystem rund ums Buch von den Autoren selbst erlebt und erfahren wird, sollte nach Poetikvorlesungen suchen (bzw. browsen). Das sind meist mehrtägige Veranstaltungen an Universitäten, teilweise verbunden mit Seminaren für die Studierenden, zu denen Autoren eingeladen werden, zum Beispiel als Poet in Residence. Wenn die Vorlesungen nicht sowieso schon mit dem Literaturhaus vor Ort koordniert organisiert werden, darf kommen, wer sich dafür interessiert.

Diverse Vorlesungen werden heute aufgezeichnet.
Kathrin Rögglas Dozentur als "Poet in Residence" an der Universität Duisburg-Essen im Wintersemester 2014 / 2015 steht zwar online, wird jedoch selten aufgerufen. Als prominente Autorin hat sie einen privilegierteren Einblick als meine Wenigkeit, deshalb überlasse ich ihr das Feld.Bedauerlicherweise gibt es zwei Wermutstropfen:

Kathrin Rögglas österreichischer Zungenschlag macht sich manchmal bemerkbar, hinzu kommt ihre Tendenz, schnell zu sprechen und komplexe Begriffe (zum Beispiel Fachtermini) zu verwenden - weshalb ihr Vortrag die ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert.

Leider wurden der Universität die Online-Rechte an den eingespielten Audio- und Video-Zitaten versagt. An den entsprechenden Stellen findet sich bloß ein bibliographischer Hinweis auf das jeweilige Zitat, so daß Interessierte nach Möglichkeit die Quellen finden können.

Servalan 21.02.2016 16:32

Die Fassung(en) bewahren
 
Was letzten Endes auf Papier oder online veröffentlicht wird, das ist lediglich die Spitze eines immensen Datenberges. Etwas zu wissen, reicht in den seltensten Fällen aus; in der Regel muß sich jeder in eine Materie einarbeiten, der kompetent darüber sprechen oder schreiben will. Wer vor Publikum tritt, muß mit seiner Materie vertraut sein, wenn die erste Frage nicht zum peinlichen Desaster werden soll.
Und Materie bedeutet in diesem Sinne zweierlei: Erstens die Sache, über die referiert oder in eine Geschichte verwandelt wird; zweitens das Konzept des Referats oder der Erzählung. Wer erzählt, muß die Figuren besser kennen als diese sich selbst.
Im grunde greift hier derselbe Effekt wie bei Referaten in der Schule, an der Uni oder bei Präsentationen. Durch die Vernetzung ist in den letzten Jahrzehnten ein gewaltiger Echoraum entstanden. Falls sich irgendwo Fehler eingeschlichen haben oder schlampig gearbeitet wurde, werden sich Experten (welcher Art auch immer) melden, und den Schnitzer ankreiden.

Sorgt in eurer Wohnung deshalb im voraus für ausreichend Platz, denn das Papier stapelt sich rasch. Am besten sind ein eigenes Büro und mehrere Handbreit Regale (oder Archivkartons) für Manuskripte, Ordner und Belegexemplare.
Ohne hilfreichen Agenten liegt das allein in eurer Verantwortung.

Dabei ergibt sich die Frage: Was muß ich aufheben? Was kann ins Altpapier?
Die klassische Antwort lautet: So einfach wie möglich, so kompliziert wie nötig.

Natürlich kann jede und jeder das handhaben, wie sie und er lustig sind. Charaktere und Temperamente sind verschieden: Vermutlich baut sich das kleine Büro nach und nach wie von selbst auf.
Sinn und Zweck der Übung ist es, den Überblick zu behalten. Deshalb sollte das Procedere leicht von der Hand gehen, bis es zu einer gewöhnlichen Routine geworden ist.

Achtung: Manuskripte haben einen unterschiedlichen juristischen Status, der darüber entscheidet, wer was damit machen darf oder unterlassen muß.

Solange ihr an euren eigenen Manuskripten schreibt, seid ihr frei und unabhängig. Wenn ihr wollt, könnt ihr alles außer dem Manuskript in der Fassung letzter Hand vernichten. Beschwert euch aber nicht, falls ihr das nachher bereut.
Bei mir findet der erste Korrektur- und Lektionsvorgang schon statt, während das Rohmanuskript über Monate langsam wächst und reift. Manche ziehen es vor, den Urtext des Rohmanuskript eigenhändig zu Papier zu bringen.
Wohl oder übel wird ein Ansatz mal in eine Sackgasse führen, die jedoch nicht voreilig gelöscht werden sollen. Sammelt eure Varianten in einem separaten Ordner, denn die können sich später als nützlich erweisen.
Durch das digitale Arbeiten lassen sich heute Kopien per Knopfdruck erstellen. Nutzt diese Chance: Speichert das Manuskript in verschiedenen Arbeitsstufen mit eigenem Namen ab (den Arbeitstitel könnt ihr beibehalten, versetzt ihn mit Zusätzen wie zum Beispiel Datum oder nummerierte Fassung).

Auf diese Weise ergeben sich mindestens drei Ordner:
  • 1. der Urtext - das rohe Manuskript im ersten Durchlauf;
  • 2. ein Magazin mit Varianten - falsche Ansätze, gestrichener Text, Backstories, Entwürfe und was es sonst noch gibt;
  • 3. das Manuskript der Schlußredaktion - das, und nur das geht an Verlage Agenten und Lektoren.
Wer etwas aus fremder Feder auf den Markt bringen will, behält sich das Recht vor, das Manuskript weiter lektorieren und korrigieren zu lassen. Bevor das Buch erscheint, verändert sich das Manuskript ein letztes Mal.
Vorsicht: An dieser Buchfassung besitzt auch der Verlag Rechte, deshalb müßt ihr dessen Zustimmung einholen, wenn ihr diese Fassung (Schriftart, Seitenspiegel, Layout und ähnliches) beispielweise für ein eBooK im Selbstverlag nutzen wollt. Das kann unter Umständen Geld kosten.

Wenn ihr euer eigenes, möglicherweise vergriffenes Werk in eigener Regie wieder auf den Markt bringen wollt, greift lieber auf das archivierte Material in den drei Ordnern zurück und erstellt euren Director's Cut.

Peter L. Opmann 21.02.2016 19:42

Das entspricht auf jeden Fall dem, was ich bei meinem aktuellen Comicprojekt mache.

Ich habe eine Kladde, in der ich Material sammle (zum Beispiel Zeitungsartikel, die mit meinem Stoff zu tun haben), Notizen und Ideen zum Comic und Texte, die mir spontan einfallen.

Zweitens führe ich eine Kladde mit dem Storyboard; da hinein kommen auch einzelne Skizzen, die ich mache, um Panels zu entwickeln.

Drittens gibt's die eigentlichen Comicseiten.

Sowas mache ich bei Comics nicht immer. Bei kürzeren Storys kann ich alles im Kopf entwickeln und behalten und manches auch spontan drauflos zeichnen. Dieser Comic soll allerdings länger werden, und ich habe schon gedacht: Eigentlich müßte das Storyboard fix und fertig sein, bevor ich zu zeichnen beginne. Aber dafür bin ich zu ungeduldig, und eine Grobfassung des Comics habe ich dann doch auch in diesem Fall im Kopf.

Maxithecat 21.02.2016 21:30

Welches Thema?

Peter L. Opmann 21.02.2016 22:37

Ich habe davon schon ein bißchen was gezeigt. Läßt sich googeln mit den Begriffen "Projekt Daphne" und "Comic".

Das soll ein etwa 100seitiger autobiografischer Comic werden.

Servalan 21.02.2016 22:44

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 517756)
Das entspricht auf jeden Fall dem, was ich bei meinem aktuellen Comicprojekt mache.

Ich habe eine Kladde, in der ich Material sammle (zum Beispiel Zeitungsartikel, die mit meinem Stoff zu tun haben), Notizen und Ideen zum Comic und Texte, die mir spontan einfallen.

Naja, mit deinem Kommentar greifst du über das Thema hinaus: Bei mir ging es um die reine Schreibarbeit am Text, die ich in verschiedene Etappen unterteilt habe:
  • 1.) Vom ersten Buchstaben bis zu jenem Zeitpunkt, an dem auf dem Manuskript zum ersten Mal das Wörtchen "Ende" erscheint (= Urtext);
  • 2.) Über alle möglichen Fassungen, in denen kräftig verbessert und überarbeitet wird;
  • 3.) Bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Manuskript in trockenen Tüchern ist (= Fassung letzter Hand).
Recherche und andere Methoden, sich mit einem Sachverhalt, einem Milieu ode einem Thema vertraut zu machen, habe ich nur beiläufig gestreift. Ich weiß, daß das (mindestens) einen eigenen Beitrag wert ist ... aber nicht heute, liebe Leute.

Peter L. Opmann 22.02.2016 07:53

Schon klar. Ich wollte sagen: Ich schreibe nicht, sondern zeichne einen Comic, gehe aber trotzdem ganz ähnlich vor.

G.Nem. 22.02.2016 11:40

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 517766)
Das soll ein etwa 100seitiger autobiografischer Comic werden.

Hab mir grade deine Postings + Seitenbeispiele unter http://comiczeichenkurs.de/index.php...&postID=198506 angeschaut – ist interessant dein Daphne-Projekt!
Wann und wo erscheint es?

Peter L. Opmann 22.02.2016 13:43

Danke für das Interesse. Ich habe mich entschieden, das Projekt amateurmäßig durchzuziehen. Also ich zeichne das neben meiner Arbeit her, weiß damit noch nicht, wann das Ganze fertig wird (vermutlich erst nächste Jahr), und habe auch mit keinem Verlag Kontakt aufgenommen. Ich zeichne das Ganze auf jeden Fall fertig - egal, ob es Veröffentlichungschancen gibt oder nicht - und bringe das Büchlein im Zweifelsfall im Eigenverlag heraus.

Sorry für die Abschweifung vom Thema...

blubbblubb 04.03.2016 12:28

Hast du auch irgendwo einen Auszug?
Ich bewundere ja immer Menschen die zeichnen können.
Selbst bin ich dazu viel zu unkreativ.

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 517794)
Also ich zeichne das neben meiner Arbeit her, weiß damit noch nicht, wann das Ganze fertig wird (vermutlich erst nächste Jahr), und habe auch mit keinem Verlag Kontakt aufgenommen. Ich zeichne das Ganze auf jeden Fall fertig - egal, ob es Veröffentlichungschancen gibt oder nicht - und bringe das Büchlein im Zweifelsfall im Eigenverlag heraus.

Darf man fragen an was für einen Verlag du gedacht hast?
Ich habe eine Bekannte die ein Buch geschrieben hat und schon seit Ewigkeiten nach einem Verleger sucht der finanziell vertretbar ist. Momentan forste ich gerade die Seite durch. Momentanes Problem ist die hohe Provision die verlangt wird. Alternativ sieht sie auch in Betracht es selber zu drucken, sowas kann man z.B. hier machen. Aber wenn ich es richtig verstehe hat man dann keine Rechte. oder besser ausgedrückt: man ist nicht so geschützt falls es Dritte kopieren würden.

Servalan 04.03.2016 14:29

Die hohe Provision deutet auf einen Druckkostenzuschußverlag hin, der seinen Schnitt macht, bevor das erste Exemplar in den Handel gelangt. Bei mir gehen da die Warnlampen los. Das Geld könnte sie besser investieren.

Vielleicht sollte sich zuerst überlegen, welche Zielgruppe sie wie erreichen möchte: je nach Konzept bieten sich verschiedene Wege an, und der Selbstverlag hat mittlerweile einen besseren Ruf als vor einem Jahrzehnt.
Dabei sollte sie im Hinterkopf behalten, daß der Knackpunkt nicht die reinen Druckkosten sein werden, sondern Werbung, Marketing und Vertrieb.
Deswegen sollte sich intensiv mit ihrem Manuskript beschäftigen:
  • 1) ein Exposé erstellen: Eine Inhaltsangabe von maximal einer DIN A4-Seite (höchstens 1.800 Zeichen über alles!)
  • 2) ein Steckbrief ihres Manuskripts: Welches Genre? Welche Zielgruppe? Welche Auflage? Kurzinhalt im Schlagzeilen- bzw. Twitter-Stil (höchstens 100 Zeichen!); Besondere Merkmale ...
Ein regionaler Vertrieb, kombiniert mit einer Lesetournee, läßt sich mit überschaubaren Mitteln arrangieren - jemand, dem sie vertraut, könnte dann den Event-Manger, Impresario bzw. Literaturagent für sie spielen.
Falls sie durch ihre Biographie nicht prominent ist, halte ich eine minimale Internetpräsenz (selbst wenn es nur ein Blog und ein Social-Media-Profil sind) für unverzichtbar. Irgendwo müssen die Leute eine Kostprobe von wenigen Zeilen oder Absätzen finden, um herausfinden, ob das ihrem Geschmack entspricht.

Durch den entsprechenden Rummel könnte das Interesse der Presse vor Ort geweckt werden: Interviews, Rezensionen und ähnliches sind auch Werbung.

blubbblubb 04.03.2016 14:39

Danke schonmal für deine Antwort.
Bei meiner Bekannten ist es ein wenig anders, die große Art von Werbung braucht sie nicht zu machen.
Im Prinzip vermarktet sich das Buch selbst, weil es sozusagen etwas für Insider ist.
Sie hat ein Fachbuch über eine bestimmte Hunderasse geschrieben, wo es bisher weltweit noch nicht ein einziges Buch gibt (maximal die erwähnung in einem Buch).
Wer die Rasse hat oder gezielt danach sucht findet nur dieses eine Buch.

Sie möchte aber auch einen guten Preis machen und so um die 20 € verlangen. Mit Verlag wird das eben alles sehr aufgebläht. eben weil sie ein Paket mitkauft was sie nicht will und nicht braucht.
Ich hoffe du verstehst in etwa wie ich meine.

Peter L. Opmann 04.03.2016 15:08

Zitat:

Zitat von blubbblubb (Beitrag 518461)
Darf man fragen an was für einen Verlag du gedacht hast?
Ich habe eine Bekannte die ein Buch geschrieben hat und schon seit Ewigkeiten nach einem Verleger sucht der finanziell vertretbar ist. Momentan forste ich gerade die Seite durch. Momentanes Problem ist die hohe Provision die verlangt wird. Alternativ sieht sie auch in Betracht es selber zu drucken, sowas kann man z.B. hier machen. Aber wenn ich es richtig verstehe hat man dann keine Rechte. oder besser ausgedrückt: man ist nicht so geschützt falls es Dritte kopieren würden.

Diese Frage habe ich bewußt zurückgestellt. Ich nehme auch in Kauf, keinen Verlag zu finden (bin im übrigen auch nicht sicher, ob die Qualität von Story und Grafik reicht, eine professionelle Veröffentlichung zu rechtfertigen). Wichtig ist mir, den Comic fertig zu bekommen, und wenn das geschafft ist, wäre es schön, wenn er auch gedruckt würde. So sehe ich das.

Daß man beim Self-Publishing keine Rechte hat, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Aber ich müßte dann gegen Nachdrucke selbst vorgehen, während das sonst die versierte Rechtsabteilung des Verlags übernimmt.

Ich würde schon mal Seiten meines Daphne-Projekts hier im Forum zeigen. Wäre besser als möglichst unverfänglich auf das andere Internetforum zu verweisen, wo ich das bereits tue. Aber ich kann hier selbst keine Bilder einstellen. Wäre also davon abhängig, ob das die Unterente oder sonst jemand für mich macht.

Servalan 04.03.2016 15:18

Auch bei einem kleinen Verlag wäre sie relativ ungeschützt; letztlich haben nur Medienkonzerne das entsprechende Kleingeld, um Leute vor Gericht jahrelang zu verklagen. Nach meinem Kenntnisstand bleibt das Urheberrecht sowieso an sie als (juristisch) natürlich lebende Person (also als lebendiger Mensch) gebunden, trotzdem sollte sie ihr Wissen geschickt "verwerten".

Ich würde ihr vorschlagen, sich jemanden in der Szene (z.B. Veranstalter von Hundeschauen, Geschäft für Hundebedarf) zu suchen und ihn zum Partner eines Mini-Verlages zu machen. Entweder könnte der Selbstverlag dann gemeinsam gegründet werden oder sich ernennt ihren Kompagnon zum Geschäftsführer, der den Papierkram gegen eine angemessene Beteiligung verrichtet.
Vorträge bieten dann einen prima Anlaß, mit dem das Buch unter die Leute kommen kann.
Wenn das ein Erfolg in der Züchterszene wird, dann melden sich früher oder später auch die großen Verlage.

Peter L. Opmann 07.03.2016 16:06

@ Blubbblubb:
Habe jetzt übrigens angefangen (mit Hilfe von underduck), im Künstlerbereich Teile meines Comics zu zeigen - Titel: "Mein Daphne-Comic".

Servalan 10.03.2016 15:28

"Ist das Kunst? Oder kann das weg?"
 
Die "gute alte Zeit" wird überschätzt und verklärt: Schreiben war ein mühsames, kostspieliges und selten ertragreiches Geschäft.
Sogar Manuskripte wurden in Schreibbüros aufwendig von Hand kopiert (siehe die Scrooge-Verfilmungen oder Nosferatu). Später versprachen mechanische Schreibmaschinen eine gewisse Erleichterung. Doch deren Schwanengesang erklang zum ersten Mal in den 1980er Jahren, als Personal Computer (PCs) langsam aber stetig Büros und private Räume eroberten.
In jener Zeit wurde das Utopia eines papierlosen Büros heraufbeschworen.

Papier wiegt einiges, was jeder beim Umzug im Rücken spürt. Außerdem verursachen der Kauf des toten Holzes und der Druck jeder Seite Kosten, hinzu kommt die Lagerung der Ordner oder Kartons.

Wer beruflich schreibt, bei der oder dem stapelt sich das Papier unausweichlich. Zum einen hilft es Leuten wie mir erheblich, im frisch Verfaßten Fehler, Mängel und andere Schlampereien zu erkennen und sofort zu korrigieren.

Als zweiter Faktor kommt die rasante technische Entwicklung hinzu: Was ich handschriftlich zu Papier gebracht oder ausgedruckt habe, das kann ich jederzeit wieder hervorziehen und mich aufs Neue damit befassen.
Bei den Speichermedien der letzten dreißig bis vierzig Jahre sieht es hingegen finster aus: Falls ich uralte Floppydisks oder 3.5"-Disketten auslesen möchte, muß ich umständlich technische Spezialisten konsultieren.
Häufig sind Dateien korrupt, also schadhaft. Weil ich nicht weiß, wie es mit den Speichermedien weitergeht, achte ich darauf, daß ich Manuskripte ausdrucke, die mir lieb und wichtig sind.

Über die Jahrzehnte sammeln sich diverse Regalmeter an oder Archivkartons stapeln sich im Keller bzw. auf dem Dachboden. Irgendwann droht ein Rappel, all die Staubfänger auszumisten und sich vom dem Krempel zu trennen, der allmählich vergilbt. Draußen lauert eine gefräßige Altpapiertonne.
Wer sich dazu überwindet, spürt, wie weh das tut.

Ein gewisser Ruf (frühestens ab 60 mit einer stattlichen Bibliographie!) geht mit Privilegien einher, die solche Entscheidungen erleichtern. Denn in diesem Fall helfen Institutionen und sorgen wieder für einen freien Blick, obwohl das Archiv keineswegs vernichtet, sondern erhalten wurde.

Die informelle Methode besteht in einem Freundeskreis, praktisch ein Kollektiv, das als Mäzen handelt. Dieser Freundeskreis gründet einen Verein oder eine Stiftung, die dann das Gesamtwerk (wie jeder andere Verlag auch) editiert, über die Autorin oder den Autor forscht sowie das Archiv lagert und betreut.

Je nach Stellung bieten sich die Archiv der Kommunen, der Länder und des Bundes an. Diese staatlichen Archive verwalten historische und andere wichtige Dokumente, Urkunden und Akten, weshalb sie mit Steuermitteln unterhalten werden (hier eine Liste).
In der Hauptsache werden die Nachlässe Verstorbener aufbewahrt. Bei wichtigen Personen der Zeitgeschichte liegen die Archive schon zu Lebzeiten auf der Lauer, denn das Aufbereiten des Materials bindet Personal, Kosten und natürlich Zeit. Wer angesprochen wird, kann die besten Konditionen für einen Vorlaß aushandeln.

Den belletristischen Olymp stellt das Deutsche Literaturarchiv Marbach dar, das seine Schätze regelmäßig in Ausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert - und immer eine Reise wert ist.

Servalan 16.03.2016 19:19

Suchst du die Geschichte? Oder sucht die Geschichte dich?
 
Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 505667)
Ein einfaches Motiv, das ich aber nicht unterschätzen möchte, ist, daß man eine Geschichte erzählen will. Ich glaube, viele Menschen haben den Kopf voller Geschichten - die sind halt nicht unbedingt alle zu Literatur formbar. In unseren postmodernen Zeiten, in der angeblich alle Geschichten längst erzählt sind, ist das zudem problematisch.

Ohne einen Haufen Papier läuft die Chose nicht.
Wer schreibt, wird schnell merken, daß reines Improvisieren auf die Dauer in trostlosen Sackgassen endet. Entweder versanden die Geschichten, weil sogar das Schreiben zur langweiligen Fleißaufgabe wird - dann merkt die oder der Verfasser selbst, daß etwas schiefläuft.
Oder alles läuft reibungslos, und die Seiten füllen sich, obwohl kein Ende abzusehen ist. Falls ein Unbefangener das Zeug in die Hände bekommt, wird dessen anfängliches Interesse allzu schnell erlahmen, weil sich zuviel wiederholt oder der Inhalt den Ansprüchen nicht gerecht wurde.

Wenn ich über etwas schreibe, brauche ich einen Draht zum Thema und muß mich insoweit auskennen, daß ich mit Experten produktiv diskutieren kann.
Im Laufe bekommen wir (als Vertreter unserer Spezies Homo sapiens sapinens) spitz, was uns liegt und was uns kaltläßt.
Deshalb: Ruhig den eigenen Gefühlen vertrauen!

Die ersten Jahrzehnte vergehen meist damit, sich eine Orientierung und ein fundiertes Grundwissen zu erarbeiten. Nicht alles davon wird in der Schule gepaukt.
Wer sich für spezielle Sach- und Fachgebiete interessiert, muß von sich aus aktiv werden und sich kundig machen. Manchmal reicht es, Fachleute zu fragen, ob dieser oder jener Sachverhalt richtig geschildert ist - solange es nur um Details geht.
Mit den Medien sind die Ansprüche des Publikums gewachsen: Wenn ich in einem Krimi meine Figuren bei einer Ermittlung begleite, sollte ich mich dabei am korrekten Verfahren orientieren. Aus dramaturgischen Gründen wird das nicht immer möglich sein, denn die poetische Lizenz zum Verbiegen der Fakten sollte mit Bedacht und so selten wie möglich genutzt werden.

Dieser Maßstab gilt auch für Werke der Fantasy und der Science-Fiction, die ja allgemein als "eskapistische Fluchtliteratur" (ein Oxymoron) geringgeschätzt werden. Wenn ich die Erfolge der letzten Jahre betrachte - von JK Rowling über Suzanne Collins bis zu George R.R. Martin -, dann sehe etwas vor mir, das Scott McCloud als Weltenbau bezeichnet. (Bestimmte Sachverhalte lassen sich heute leider nicht in einen Gegenwartsroman bannen, ohne mit einem fürchterlichen Shitstorm abgestraft zu werden.)
Jede fiktive Welt muß in sich schlüssig sein und zumindest im Moment der Lektüre Sinn ergeben. Wer sattelfest darin ist, kann den nächsten Schritt wagen, und mit der Struktur spielen: Drogen, virtuelle Realität (die vielzitierte "Matrix") und unzuverlässige Erzähler zum Beispiel können das Spiel zwischen der Geschichte und dem Publikum bereichern.

Recherche tut also not. Sie sollte ein vertrautes, ein selbstverständliches Handwerkszeug sein.

Endlose Monologe nerven mich, ich ziehe Dialoge vor.
Nach und nach werde ich das mit der Recherche vertiefen. Wer gute Vorschläge und hilfreiche Kommentaree hat, ist willkommen.

Servalan 17.03.2016 13:06

Suchst du die Geschichte? Oder sucht die Geschichte dich? II
 
Zitat:

Zitat von G.Nem. (Beitrag 505609)
Doch, ab einem gewissem Punkt im Leben musst du. Wenn es in dir ist.

Rein theoretisch lassen sich zwei verschiedene Ansätze unterscheiden. Ich spreche bewußt von Ansätzen, weil in der Praxis beide Methoden ineinander übergehen können. Teilweise hängt das von der Intensität, dem Aufwand und der verwendeten Zeit ab, welcher Ansatz wann und wo bei wem den Ton angibt.

A) Die systematische Recherche

Wenn ich mir den Zugang zu einem neuen Wissensgebiet erarbeiten muß, bleibt mir nur die systematische Recherche. Denn ich muß Fachtermin wie Vokabeln büffeln, mir grundlegende Gedanken und Methoden aneignen sowie ein fundiertes Grundwissen verinnerlichen.
Gerade zu Beginn eines solchen Unterfangen sind Mentoren oder Tutoren hilfreich. Basis-Handbücher und Nachschlagewerke für Berufsanfänger stehen häufig in den Regalen der Buchkaufhäuser, wo sie sich durchblättern lassen. Ringvorlesungen an Universitäten bieten vergleichbare Einblicke in verschiedene Studienfächer.
Die ersten Referate vor der Schulklasse fordern als erste die Fähigkeiten heraus. Dabei geht es darum, sich selbst mit dem Stoff so vertraut zu machen, daß es gelingt, ihn in eigenen Worten an Dritte zu vermitteln.

Wer sich mehrere solcher Gebiete erobert hat, dem stellen irgendwann offene Fragen. Obwohl bestimmte Details für das Referat, den Artikel oder das Manuskript keine Rolle spielen, möchte ich die Antwort wissen. Das liegt möglicherweise daran, daß ich dieses Thema weiterhin verfolgen möchte oder mich gewisse Antworten verstören können.

Denn manchmal verlangt eine Geschichte ein Wissen, das heute obsolet ist. Ein gutes Beispiel dafür sind veraltete Heilmethoden: Über etliche Jahrhunderte war die sogenannte Säftelehre im Schwange. Krankheiten wurden den vier antiken Temperamenten und ihren entsprechenden Körpersäften (Blut, Schleim, schwarze Galle und gelbe Galle) zugeordnet.
In einem historischen Roman muß eine glaubwürdige Medikus-Figur aus heutiger Sicht falsch handeln und seinen Patienten, wie es die Mode verlangt, zur Ader lassen - obwohl er damit den Zustand verschlechtert.

B) Allgemeine Neugier: Ständige Recherche

Je länger und je intensiver ich mich mit etwas beschäftige, desto vertrauter wird mir der Stoff. Das menschliche Gehirn denkt assoziativ, nicht logisch. Und häufig genutzte Verschaltungen in den Synapsen wachsen sich zu gebüschartigen Clustern aus.

Häufig überschneiden sich eigentlich grundverschiedene Disziplinen (wie Medizin und Geschichte im Beispiel oben). Im Gegensatz zum festen Curriculum während des Studiums gibt es im Selbststudium keinen verbindlichen Fahrplan.
Vielmehr führen Antworten zu neuen Fragen.

Durch die ständige Recherche lese ich eigentlich immer und überall etwas. Vorlesungen und Fachbücher ziehe ich dabei populärwissenschaftlichen Zeitschriften vor. Ab und zu wird ein Abgleich mit dem aktuellen Kenntnisstand eines Sachgebiets nötig, denn in unregelmäßigen Abständen können sich einzelne Disziplinen komplett verändern. Was gestern üblich war, gilt heute als veraltet.
Der Fachbegriff dafür lautet Paradigmenwechsel.

Im Laufe der Zeit gewinnt dieser Prozeß eine eigene Dynamik, die sich der bewußten Kontrolle entzieht. Unbewußt denkt das Hirn weiter, verknüpft dieses mit jenem und etwas anderen - und irgendwann überfällt mich die Idee für eine Geschichte oder ich sehe eine Szene vor meinem inneren Auge, die ich unbedingt zu Papier bringen muß.

Servalan 24.03.2016 14:57

Fürs Storytelling recherchieren
 
In der Theorie klingen die Ratschläge einfach, in der Praxis ist jedoch Vorsicht geboten: Für einen Roman oder eine Kurzgeschichte muß ich anders zuwegegehen als bei einem wissenschaftlichen Artikel oder einem Beitrag für eine Enzyklopädie. Das Erzählen selbst steht im Vordergrund, also entweder die Story mit ihren Charakteren oder der Rhythmus der Sprache, der faszinieren muß.

Wenn das Mittel falsch dosiert wird, kann ich mich auch mit den besten Vorsätzen zutode recherchieren - dann komme ich nie zu Potte. Oder ich vergeude zuviel Zeit (die mir dann beim Schreiben fehlt) mit winzigen Details, die eigentlich überflüssig sind - und als Geschwätz im Lektorat spätestens gestrichen werden.

Eine Szene oder eine Idee liefern nur die Anregung für einen komplexen Prozeß, in dem sich beide Elemente - das Schreiben und das Recherchieren - ineinander verzahnen und sich miteinander abwechseln.
Deshalb ich wissen, wofür ich recherchiere. Was muß ich wissen, was darf ich wissen und was sollte ich eher beiseite lassen, um den Erzählfluß nicht zu unterbrechen.

Sich für eine Figur, zum Beispiel einen Profiler oder eine Pathologin im Krimi, Wissen anzueignen, dürfte eher eine leichte Übung sein. Falls es sich um eine Hauptfigur handelt muß ich intensiver zuwerkegehen als bei einer Nebenfigur. Schreiben bedeutet Drama, im Gegensatz dazu verläuft der realistische Alltag in den meisten Berufen und Disziplinen eher unspektakulär.
Außerdem möchte das Publikum nicht belehrt werden, sondern sich seinen Teil selbst denken. Lassen wir ihm das Vergnügen. Wissen sollte bewußt und gezielt eingesetzt werden, um etwas durch den Text im Text selbst zu verdeutlichen. Heute wissen meiner Ansicht nach sogar die "bildungsfernen Schichten" mehr als die gewöhnlichen Leute vor 100 Jahren.

Für solche Standards gibt es häufig Nachschlagewerke, die in den Handapparat auf dem Schreibtisch oder neben das Keyboard gehören:
  • Der Pschyrembel oder ein anderes Medizinlexikon.
  • Aktuelle MINT-Zeitschriften und -Fachbücher (offline oder online).
Ihr müßt euch nicht jedes Buch kaufen. Stadtbibliotheken und Unibibliotheken bieten ein reichhaltiges Sortiment, das meist nutzen kann, wer in den kommunalen Grenzen seinen Wohnsitz hat.

Als ich mein Abi gebaut habe, wollte ich auf Shakespeare geprüft werden. Um mich vorzubereiten, habe ich eines seiner Dramen per Hand abgeschrieben, weil ich wissen wollte, wie es funktioniert. Diese Übung hat mich fast einen Monat gekostet, aber danach habe ich verstanden, daß
(1) kein Wort - der Schlegel/Tieck'schen Übersetzung - überflüssig ist;
(2) jeder Satz eine Bedeutung hat und das Verhältnis der Figuren untereinander exakt definiert;
(3) es keinen Leerlauf, kein Geschwafel, kein Zeilenfüllsel gibt, und was in ungeschulten Ohren zunächst hochtrabend und aufgesetzt klang, wirklich das Geschehen extrem verdichtet hat;
(4) Regieanweisungen doppelt gemoppelt wären: Das Drama konnte darauf verzichten, weil jede der geschliffenen Sentenzen durch Wortwahl, Rhythmus und Satzbau offenlegt, wie die Figuren zueinander stehen;
(5) jede Figur ihre eigene Art zu reden hat.

Wenn ihr das einige Mal bei Geschichten macht, die euch gefallen, lernt ihr eine ganze Menge. Sobald ihr ein Feeling dafür habt, könnt ihr das Konzept für eure eigenen Geschichten ausarbeiten.

Ohne Konzept bleibt die beste Recherche fruchtlos.

Wie bei einem langen Weg die eigenen Schritte, sollten sich die Konzepte für Recherche und Schreiben wieder und wieder abwechseln.

Laßt euch nicht einschüchtern.

Zur Not schreibt irgendwas, um einen Anfang zu finden. In der Rohfassung ist alles erlaubt. Der erste Satz im gedruckten Roman ist nicht immer der erste Satz, der geschrieben wurde.

Peter L. Opmann 24.03.2016 16:30

Das ist schon fast alles richtig und lobenswert.

Aber das mit der Recherche ist doch eine knifflige Sache. Wenn man von Medizin keine Ahnung hat, nützt es auch nichts, wenn man im Pschyrembel nachschlägt. Man braucht einen Überblick über medizinische Zusammenhänge, sonst nützt einem auch das richtige Fremdwort am richtigen Ort nichts. Das gilt genauso für alle anderen Naturwissenschaften - und für die Geisteswissenschaften vermutlich erst recht.

Da würde ich lieber von Fachbegriffen die Finger lassen, wenn ich mich mit dem Fach eigentlich nicht auskenne. Oder wenn das extrem wichtig für meinen literarischen Text ist, dann würde ich mich richtig informieren. Etwa bei einem Freund, der sich in dem Fachgebiet auskennt. Oder ich würde mal einen richtigen Kurs machen, der mich in das Gebiet einführt.

Aber Bescheidenheit - also nicht vorgeben, Fachmann zu sein - ist besser.

Servalan 27.03.2016 15:33

Zitat:

Zitat von Peter L. Opmann (Beitrag 519680)
Aber das mit der Recherche ist doch eine knifflige Sache. Wenn man von Medizin keine Ahnung hat, nützt es auch nichts, wenn man im Pschyrembel nachschlägt. Man braucht einen Überblick über medizinische Zusammenhänge, sonst nützt einem auch das richtige Fremdwort am richtigen Ort nichts. Das gilt genauso für alle anderen Naturwissenschaften - und für die Geisteswissenschaften vermutlich erst recht.

Da würde ich lieber von Fachbegriffen die Finger lassen, wenn ich mich mit dem Fach eigentlich nicht auskenne. Oder wenn das extrem wichtig für meinen literarischen Text ist, dann würde ich mich richtig informieren. Etwa bei einem Freund, der sich in dem Fachgebiet auskennt. Oder ich würde mal einen richtigen Kurs machen, der mich in das Gebiet einführt.

Ehrlich gesagt, ich bezweifle, daß gerade junge Schreibanfängerinnen und -anfänger so abstrakt, formal und zielgerichtet vorgehen.
Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen, von denen jede ihre besonderen Stärken und Schwächen hat.
Aber keine ist per se schlechter als die andere.

Gerade unter Genreautoren finden sich etliche Seiteneinsteiger, die ihr Basiswissen in ihrem (früheren) Brotberuf erworben haben: als Anwälte wie Ferdinand von Schirach, John Grisham und Jens Lapidus, als Pathologin wie Kathy Reichs, als investigative Journalisten wie Stieg Larsson, als IT-Fachleute wie Andreas Eschbach, als Raumfahrttechnier wie Ziolkowski ... die Reihe ließe sich fortsetzen.

Wem der Weg über die Sprache besser liegt, wird sich das Grundwissen wahrscheinlich durch bezahlte Übersetzungen aneignen. Der Eintritt in den richtigen Fachverband (zum Beispiel Syndikat bei Krimiautoren) erleichtert vieles und sorgt dafür, peinliche Schnitzer im vorwege zu vermeiden.

Das Schwierigste dürfte nicht formalisiertes Wissen sein: Leider reicht es nicht, irgendwo Smalltalk zu protokollieren, um einen überzeugenden Dialog in einem Roman zu verfassen. Szenisches Schreiben muß Sachverhalte berücksichtigen, die aus dem Sprachkunstwerk selber kommen. Wenn der Stoff "realistisch" rüberkommen soll, müssen diese Tricks und Kniffe hübsch kaschiert werden, damit die Erzählung im Fluß bleibt.
Oder der Schreibende weicht lieber auf indirekte Rede aus und wendet sich von vornherein an ein anderes Publikum.

Ohne Konzept vergeude ich meine Kräfte.
An dem Punkt kann ich mich entscheiden, ob ich Wissen brauche, und wenn ja, welches.
Durch meine Wahl der Perspektive, des erzählerischen Fokus und des Erzählansatzes schaffe ich mir die Möglichkeit, bestimmten Wissensgebieten weiträumig auszuweichen und mich auf die zu konzentrieren, die mir liegen.
In einem Krimi kann ich komplett auf das scheibar obligatorische Pathologenchinesisch verzichten, wenn ich die polizeiliche und juristische Ermittlung in den Hintergrund schiebe und mich auf Rivalitäten, Verrat und Hierarchien im Gangstermilieu beschränke - wie Jens Lapidus' Easy-Money-Trilogie.

Je besser ich das Schreiben beherrsche, desto mehr Freiheiten habe ich und kann mich subtil mit vagen Andeutungen begüngen. Das Publikum reimt dann schon das Richtige zusammen.

Peter L. Opmann 27.03.2016 16:59

Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 519843)
Je besser ich das Schreiben beherrsche, desto mehr Freiheiten habe ich und kann mich subtil mit vagen Andeutungen begüngen. Das Publikum reimt dann schon das Richtige zusammen.

Das sehe ich genauso. Ist aber was ganz Anderes, als so zu tun, als würde man sich in einem Fachgebiet auskennen. Mir fallen dabei immer die Fehler von Karl May in seinen Reisebeschreibungen ein. May hat ja alles aus Lexika und anderen, echten Reiseberichten abgeschrieben und hatte dabei das Glück, daß auch so gut wie niemand sonst Amerika und Asien aus eigener Anschauung kannte.

Servalan 27.03.2016 17:25

Auf der anderen Seite nützt aber auch der sorgfältigste Umgang mit den aktuellsten Forschungsergebnissen nur bedingt. Die Wissenschaften verändern sich stetig, und irgendwann sind solche Erkenntnisse hoffnungslos veraltet.

Der Vorgang läßt sich gut an Thomas Manns Roman-Tetralogie Joseph und seine Brüder studieren. Einerseits gibt die Literatur wissenschaftlichen Disziplinen Impulse, zum Beispiel der Theologie; andererseits läßt sich das Werk von Fachwissenschaftlern wie dem Ägyptologen Jan Assmann gegen den Strich als zeitgenössisches Sachbuch lesen.
Die Wechselwirkungen sind komplex und lassen sich nicht auf ein plumpes Schema vereinfachen. Die veränderte Einordnung wird auf jeden Fall das jüngere Publikum der Zukunft beeinflussen.
Die Grenzen zwischen dem, was als Belletristik gelesen wird und was als populäres Sachbuch, bilden eine Grauzone.

Servalan 12.04.2016 11:09

Durch die technischen Möglichkeiten verändert sich die Verlagsbranche, denn neue Möglichkeiten bieten ungewohnte Chancen und ziehen natürlich juristische Konsequenzen nach sich.

Justitiar Rainer Dresen steht der Rechtsabteilung des Medienkonzerns Random House vor, tritt beispielsweise auf der Leipziger Buchmesse öffentlich auf und berichtet von den neuesten Entwicklungen.

Am 20. März 2016 ließ er sich von Wolfgang Tischer (literaturcafe.de) interviewen:
Juristische Fallstricke bei der Buchveröffentlichung. Gespräch - als Audio bei Voice Republic (43:37 min)

G.Nem. 16.04.2016 08:11

Besondere juristische Gegebenheiten entstehen auch durch die Tatsache das Ideen nicht geschützt sind.

Ich habe das zur Info mal am Beispiel eines Kinderbuch-Manuskripts in meinem Blog zusammen gefasst >
https://zeichenmaschine.wordpress.co...ht-geschuetzt/

Servalan 17.04.2016 14:47

Veränderungen hat es immer gegeben, aber nach dem Umbruch zu Gutenbergs Zeiten waren das meist feine Nachjustierungen.
Nachdem in den 1770ern und 1780er der Buchmarkt entstand, so wie wir ihn kennen, waren zumindest in den nächsten gut 200 Jahren die Rollen vom Autor, Verlag, Buchhandel und Publikum klar und sauber voneinander getrennt.

Seit Mitte der 1990er werden zumindest die Grenzen unscharf, und an den Universitäten, in Konferenzen und auf Tagungen wird munter diskutiert, was als nächstes kommt.
Der User Generated Content von den Prosumern wird zum Symptom für einen neuen Umbruch, der mittlerweile auch die schöne Literatur erfaßt hat: Die gewohnten Kategorien brechen auf.
Was ist heute ein Werk? Wer gilt heute als Autor (Schöpfungshöhe)?

Wer sich in diese Thematik vertiefen will:

Thomas Ernst: Nach dem geistigen Eigentum? Die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht - Video (27 min)
Zitat:

Einführungsvortrag von Dr. Thomas Ernst beim Workshop "Nach dem geistigen Eigentum? Digitale Literatur, die Literaturwissenschaft und das Immaterialgüterrecht", der am 10. Januar 2014 im Bibliothekssaal der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, stattgefunden hat.

Servalan 02.05.2016 15:02

Wie kommt das Wissen in die Geschichte? (Teil 1)
 
Mit 12 habe ich meine ersten Versuche gemacht, und das sollten selbstverständlich Romane sein. In meinem Ehrgeiz konnte ich den Höhepunkt nicht erwarten, der mich beim Lesen beeindruckt hat. Wie im Rausch habe ich geschrieben, und die Endorphine haben mir das Hirn vernebelt. Spätestens nach zehn oder zwanzig karierten Seiten in meinem Ordner war die Luft raus ... Übrig blieb ein klägliches Wrack, für das ich mich geschämt habe.
Warum funktionierte das bei mir nicht, was Robert Louis Stevenson locker gelingt? Ich war neidisch auf mein bewundertes Vorbild.

Ohne Konzept mußte ich scheitern. Schließlich hatte ich ins Blaue improvisiert.
Aber was in meiner Vorstellung eindrucksvoll und mitreißend gewesen sein mußte, das las sich abgedroschen und langweilte zu Tode.
Schmerzhaft lernte ich meine Lektion: Ich muß auf kreative Weise lesen und mir die Kenntnisse meiner Idole mühsam aneignen. Ich brauchte ein Grundwissen über all das, was vor meiner Zeit in der Literatur abgelaufen ist.
Das dauert Jahre und Jahrzehnte, obwohl ich auch jetzt noch dazu lerne.

Wer Comics zeichnen will, kopiert zunächst Figuren und Posen der Meister. Beim Schreiben ist es ähnlich: Abschreiben und nachmachen ... und schon folgt der nächste Stolperstein, denn ich merke, wieviel Wissen in kleinen Andeutungen oder Hinweisen versteckt ist.
Manche Dinge oder Effekte scheitern, weil mir Details fehlen oder ich als Laiin falsche Schlüsse ziehe und Blödsinn verzapfe.

Wahrscheinlich bin ich nicht die Einzige, die in jüngsten Jahren meinte, sie müsse von vornherein jedes Mißverständnis vermeiden und eine gute Idee, einen guten Plot, eine gute Story mit verquasselten Informationen zumüllt.
Manche Genres vertragen mehr davon als Erzählungen aus dem Alltag: Technobabble, Kunstsprachen und Glossare über fremdartige Wesen und Welten werden von Science Fiction- und Fantasy-Fans geradezu erwartet;
wenn ich ein bestimmtes Ambiente (Pathologie, Justiz, Forstwissenschaften oder ähnliches) nutzte, darf ich das Publikum kurzfristig durch Expertenwissen verstören ...

Außerdem steht jedem mutigen Schreiberling ein unübersichtliches Arsenal an legitimen Techniken und Romantypen zur Verfügung. Ich muß nur aufpassen, daß ich mit meinen Zeilen das Publikum erreiche, was mir vorschwebt.
Durch die Allgegenwart der Medien ist sogar das Publikum vermeintlich leichter Unterhaltung mit anspruchsvollen Verfahren vertraut, und das erlaubt mir die Freiheit, Techniken zu nutzen, die vor zwei oder drei Generationen noch Avantgarde gewesen sind.
Schon 1973 erschien Stanisław Lems Imaginäre Größe (Wielkość urojona), das sich als Sammlung von Vorwörtern präsentiert. Aber sämtliche vorgestellten Werke sind fiktiv (existieren also gar nicht real), und Lem krönt diese Posse mit einem Vorwort der Vorwort-Anthologie.

Peter L. Opmann 02.05.2016 16:13

Mein erstes Vorbild war Enid Blyton. Ich weiß nicht, ob ich zwölf war, aber in diesem Bereich war mein Alter schon. Eine Detektivgeschichte mit Kindern. Mir kam's darauf an, ein richtiges Buch zu produzieren, wobei es natürlich nur eine Ähnlichkeit gab. Ich habe Schreibschrift mit blauer Tinte geschrieben, so daß das Buch eher wie eine Fibel aussah. Dabei habe ich 16- oder 24-seitige Bücher vollgeschrieben, die am Ende mit Uhu zu einem etwa 100-seitigen Buchblock verklebt und amateurhaft mit Pappe einen Buchumschlag gebastelt. Interessant war aber: Ich habe inzwischen eine 12-jährige Nichte. Der habe ich dieses Buch kürzlich gegeben, und sie fand's spannend.

Einen zweiten Einstieg in die Literatur habe ich mit 16 versucht. Damals gab es eine Reihe von SF-Anthologien, die von Thomas LeBlanc betreut wurde. Dem habe ich meine erste professionell gemeinte Kurzgeschichte geschickt. Es ging um Androiden - mein Vorbild war inzwischen Philip K. Dick. LeBlanc hat mir geantwortet, allerdings sehr bestimmt: Diese Story sei für seine Sternen-Anthologie nicht geeignet. Ich erinnere mich noch an den Satz: "Man merkt bei Ihnen die geringe Erfahrung im Schreiben." Danach habe ich allerdings mit dem Schreiben von Belletristik sofort aufgehört und bin - glücklicherweise? - nicht freier Schriftsteller geworden.

Servalan 03.05.2016 13:30

Vieles hängt vom Elternhaus ab: Die Familien meiner Eltern sind Vertriebene, entsprechend mager war der Hausstand. Nach heutigen fielen meine Eltern wohl in die Kategorie "bildungsferne Schichten", obwohl beide selbständig waren (und es teilweise noch sind). Was jemand getan hat, mußte entweder nützlich sein oder Geld bringen, und Bücher haben nur gekostet.
Mit den Büchern meiner Eltern konnte ich wenig bis überhaupt nichts anfangen. Mein Vater muß wohl mal in einem Buchklub gewesen sein, denn von ihm stammte die Reihe im Wohnzimmerregal. Von Karl May besaß er zwei Trilogien, natürlich Winnetou, aber nicht Old Shatterhand, sondern Old Surehand. Mit denen konnte ich nichts anfangen.
Was mich begeistert hat, war ein Bildband über die Entstehung der Erde, den ich aber nie gelesen habe. Das edle Buch durfte ich bloß mit spitzen Fingern anfassen, als ich schon im Gymnasium war. Die übrige Zeit stand es irgendwo hinter dem Fernseher. Allein das Herauskramen war für jemanden, der noch wuchs, eine umständliche Aktion.
Mein anderer Favorit war ein Wilhelm-Busch-Hausbuch, das ich verschlungen und wiedergelesen habe.
An Zeitungen kamen leider das unvermeidliche Springer-Blättchen und eine Lokalzeitung (Holsteinischer Courier) ins Haus. Wohl oder übel habe ich versucht, mir eine Grundlage in Sachen Kultur allgemein und Literatur im besonderen anzueignen. Also habe ich fleißig aspekte geschaut.

Der Deutschunterricht mit den unvermeidlichen Interpretationen hat mich geprägt (und zunächst in eine falsche Richtung gedrängt). Komischerweise hat mich das Studium aus diesem neurotischen Denken befreit, Literatur- und Medienwissenschaft plus Kunstgeschichte haben mir den Horizont geöffnet.

Wo ich aufgewachsen bin, gab es zu meiner Grundschulzeit eine winzige Filiale der Stadtbücherei, und da habe ich ein paarmal was ausgeliehen.
Letztlich sabotierten meine Eltern in ihrem Reinlichkeitswahn, daß ich günstige Lektüre bekam: "Wer weiß, wer das angefaßt hat! Paß auf, daß du dich nicht ansteckst, bei den Viren und Bakterien!"
Über kurz oder lang lief das auf ein Verbot von allen Büchern heraus, die nicht niegelnagelneu (und sauteuer!) waren: Nix vom Flohmarkt! Nix aus dem Antiquariat! Nix aus einer öffentlichen Bibliothek!

Was war das Ende vom Lied?
Ob zum Geburtstag oder zu Weihnachten, jedesmal maulte meine Mutter herum: "Immer nur Bücher, du wünscht dir immer nur Bücher. Wünsch dir doch mal was Nützliches - oder was Vernünftiges!"
Als ich ausgezogen bin, habe ich mir natürlich herausgepickt, die mir wichtig war und solche, die ich fürs Studium gebraucht habe. Für meine Eltern waren alle Bücher gleich, die hätten am liebsten die Regale sauber und ordentlich Meter für Meter ausgeräumt ...

Wer in einem Elternhaus aufwächst, in dem Kultur und Literatur geschätzt werden, ist natürlich im Vorteil.

Peter L. Opmann 03.05.2016 14:17

Oje, das klingt ja nicht so schön.

Meine Eltern waren Kleinbürger, aber sie waren nicht bildungsfeindlich. Sie trugen eigentlich ein paar Widersprüche in sich, die ich ganz sympathisch finde.

Zum Beispiel hatte mein Vater die "Fuldaer Volkszeitung" abonniert, obwohl er glühender CDU-Anhänger war, weil die einfach besser geschrieben war als das konservative Konkurrenzblatt.

Meine Eltern haben mir, als ich noch klein war, auch öfters Comics vom Einkaufen mitgebracht, obwohl sie die eigentlich für Schund hielten. Aber sie respektierten, daß ich sie mochte.

Meine Mutter war auch in einem Buchclub - das war in den 1950er Jahren wohl unglaublich weit verbreitet. Sie hat nur Volksschulabschluß, las aber gern Bücher von Pearl S. Buck. Mein Vater (ein Ingenieur) kam aus einer Lehrerfamilie (meine Oma hat mir auch schon während der Kindergartenzeit Lesen und Schreiben beigebracht). Aus dieser Richtung her waren bei uns unglaublich viele Bücher im Haus; ich hatte immer ein bißchen die Vorstellung: Egal, welches Thema - ich werde dazu bei uns irgendein Buch finden, das mir das erklärt.

Ich hatte allerdings Freunde, die ich um ihre Bildung beneidet habe. Die waren - anscheinend - auf der Höhe der Kultur, konnten bei neuen Trends in Kunst, Literatur, Musik oder Film mitreden und Werke einordnen. Ich habe dagegen immer wahllos gelesen und stieß nur zufällig auf Sachen, die mich weitergebracht haben.

Servalan 03.05.2016 16:12

Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte mich frei nach Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Selbstmitleid liegt mir nicht, obwohl ich einige heftige Stories erzählen könnte - aber das Autobiographische bereitet mir Schwierigkeiten. Mir ist das einfach nur peinlich.

Vielleicht habe ich deswegen jedes Buch extrem sorgfältig gelesen.
Mit Büchern konnte ich immer mehr anfangen als mit Menschen. Insofern habe ich mich mit meiner Freizeit-Lektüre selbst erzogen.
Außerdem lagen meine Interessen im toten Winkel meiner Eltern. Sobald es um Klassiker ging, konnte ich die 50er-Jahre-Prüderie meiner Erziehungsberechtigten austricksen: Boccaccios Decamerone, Chaucers Canterbury Tales und Laurence Sternes Tristram Shandy haben mich in der Pubertät natürlich auch wegen der "Stellen" begeistert ...

Ende der 90er Jahre sind diverse meiner Geschichten und anderer Texte anderswo (ohne mein Wissen und folglich ohne mein Okay) nachgedruckt worden. Teilweise kursieren von mir Sachen jetzt noch im Netz herum, und ich erfahre das nur, falls ich meinen Namen google.
Und bei den 24-Stunden-Lesungen hatte ich teilweise tief in der Nacht ein kleines, aber treues Publikum.
Weshalb sollte ich mich also beklagen? Ich bin glimpflich aus der Chose herausgekommen ...

Peter L. Opmann 03.05.2016 17:56

Hallo Servalan,

da wäre ich für eine pragmatische Betrachtungsweise. Vielleicht gibt es Extremfälle wie Kaspar Hauser, dem fast jede Entfaltungsmöglichkeit genommen wurde (aber auch er hat in der kurzen Zeit, die er hatte, sehr viel gelernt und Talente gezeigt). Normalerweise ist niemand von seinen Eltern völlig determiniert, sondern er kann auch selbst bestimmen, was er aus sich macht.

Das gefällt mir wesentlich besser als nur zu sehen, was einem in seinem Elternhaus alles entgangen ist.

Servalan 20.05.2016 16:43

Der Wahrnehmungspachologe Rainer Mausfeld von der Universität Kiel dürfte einem Teil des Publikums schon durch seinen Vortrag Waum schweigen die Lämmer? (vom 22. Juni 2015) bekannt sein, der mehrfach gespiegelt wurde und mehrere Hunderttausend Zugriffe hatte.

Einige Posts weiter oben hatte ich geschrieben:
Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 511467)
Bei meinen Lesungen wunderte ich mich des öfteren, wie wenige Andeutungen genügten, um das Publikum vom "Realismus" der Geschichte zu überzeugen.
Punkt, Punkt, Komma, Strich - das reichte vollkommen aus, schon entdeckten die meisten Zuhörer ein Gesicht.

Online schwirrt ein Vortrag von Rainer Mausfeld herum, den er 2012 auf einer Konferenz gehalten hat und diesen Effekt erklärt: Menschen müssen handeln, wenn sie überleben wollen, deshalb verzerren unsere Sinne die "echte" Welt so, daß wir reagieren und handeln können. In den krudesten Mustern können wir Gesichter erkennen, und aus wenigen Details basteln wir uns Geschichten zusammen, um einen Sinn oder eine Bedeutung zu finden ...

Prof. Dr. Rainer Mausfeld - Konferenz-iii 2012 - (58 min auf vimeo)

Diese Konferenz wurde auch von Interessierten aus anderen Fachgebieten besucht, deshalb geht der Wahrnehmungspsychologe nicht ans Eingemachte seiner Fachdisziplin sondern bleibt allgemein verständlich.
Wer diese Grundlagen verstanden hat, dem oder der fällt das Schreiben leichter ...

Servalan 23.05.2016 14:29

Wie kommt das Wissen in die Geschichte? (Teil 2)
 
Die beste Anregung zum Thema liefern gelungene Beispiele, und da möchte erst einmal auf Agatha Christie verweisen. Ihre ältere Schwester Margaret Frary Miller (1879–1950) schrieb für Magazine und galt als die eigentliche literarische Begabung, die ihre jüngere Schwester neckte und sie mit einer Wette herausforderte. Denn Marge nahm an, Agatha wäre nicht fähig, einen Kriminalroman zu schreiben ...

In den Lazaretten des (Ersten) Weltkriegs assistierte Agatha Christie bei blutigen Operationen und eignete sich pharmakologisches Wissen an: Ihre Kentnisse über Gifte tauchen regelmäßig wieder auf.
Durch ihren zweiten Ehemann, den Archäologen Sir Max Mallowan, lernte sie auf Ausgrabungen die Geschichte des Nahen Ostens kennen. Durch ihre Fachbeiträge erwarb sie sich in dieser Disziplin einen hervorragenden Ruf, und ihre Filmaufnahmen von Ausgrabungen zählen ihren weiteren Leistungen.
Diese exotischen Gegenden waren für John und Mary Doe etwas Ungewöhnliches, für Agatha Christie aber Alltag, der sich in ihren berühmtesten Werken (Mord im Orient-Express, Tod auf dem Nil und Mord in Mesopotamien) spiegelt.

Wie sich ihr Wissen mit ihren Geschichten verbindet und ihren Stil prägt, der auf den ersten Blick fürchterlich unbeholfen wirkt, aber letztlich einen Sog entfacht - das zeigt die ITV-Dokumention von 2005:

The Agatha Christie Code - (50 min, nur in Englisch!)

Servalan 09.06.2016 17:07

Im besten Fall, im schlimmsten Fall
 
Einfach mal angekommen, ihr habt das Kunststück vollbracht und euch ist der Durchbruch gelungen. Wie sieht das aus? Was passiert dann? Womit müßt ihr rechnen? Worauf solltet ihr euch einstellen? Auf was müßt ihr euch vorbereiten?

Achtung: Bleiben wir bei den Fakten! Ich möchte niemandem etwas vom Pferd erzählen und mir irgendwelche kruden Ideen aus den Fingern saugen.
Deshalb möchte ich zurück in die Vergangenheit blicken: Schließlich gibt es quer über den Globus die Klassiker der höchsten Hochkultur, von den Heroen aus Weimar und den Romantikern über Dante, Boccaccio und Petrarca oder Racine, Molière und Corneille bis hin zu Swift, Milton und Shakespeare.
Deren Werke müssen es seit Jahrhunderten aushalten, immer wieder neu erfunden, parodiert und persifliert, in alle mögliche Medien übertragen zu werden. Klar, daß darunter auch Nachschöpfungen oder Übersetzungen sind, die die Autoren vermutlich als Verhunzungen oder Entstellungen empfunden hätten.

Leider sind sie tot - und können sich nicht mehr wehren.

Und ab einem gewissen Grad des Erfolgs, läßt sich da nichts mehr kontrollieren.
Wem schon das Lektorat an die Nieren gegangen ist, der muß bei den Rezensionen oder Empfehlungen in den Social Media mit Heftigerem rechnen.
Dünnhäutige wie Günter Grass können sich dann ungerecht behandelt fühlen, selbst wenn andere feststellen, daß eigentlich das positive Echo bei Kritik und Publikum überwiegt.
Der Rummel gehört zum Spiel dazu (Zu Risiken und Nebenwirkungen ...), da müßt ihr durch. Nachher werdet ihr umso erleichter aufatmen, wenn ihr euer nächstes Werk schreibt.

Gary Taylor hat diesen Prozeß bei dem Giganten Shakespeare über mehrere Jahrhunderte verfolgt. In dieser Zeit hat sich die Gesellschaft stark gewandelt, und diese Entwicklungen spiegeln sich im jeweiligen Verständnis dessen, was Zeitgenossen unter Literatur verstanden haben und verstehen.
Das Erstaunliche an dieser Studie war für mich die Erkenntnis: Was schert es die Buche, wenn sich ein Wildschwein an ihr kratzt? So gut wie nichts.
Eher im Gegenteil, solange Werke lebendig bleiben, müssen sie sich auf der Straße bewähren, unter Leuten, nicht nur unter Spezialisten und Fans.
Hier scheint sich der Spruch zu bewähren: Viel Feind, viel Ehr.
Je mehr über das literarische Werk geschrieben wird, wobei schnurz ist, was denn nun: Rezensionen, wissenschaftliche Aufsätze, Ratgeber, Versionen für Kinder, Aktualisierungen ... umso besser: All das fördert nur den Ruhm des Werks.

Mein Lektüretipp:
  • Gary Taylor: Shakespeare - Wie er euch gefällt. Die Geschichte einer Plünderung durch vier Jahrhunderte, Kellner Verlag 1992 [im Original: Hogarth Press 1990], 555 Seiten

Servalan 27.07.2016 17:41

Anatomisch korrekt
 
Zu den hinterhältigsten Patzern, die einer oder einem beim Schreiben unterlaufen können, gehört die Schilderung einer Szene, in der sich eine Figur verrenkt - und sich benimmt, als wäre nichts geschehen.
Sobald sich das Publikum in eine Geschichte versenkt hat, befindet es sich in einer imaginären Welt und die Spiegelneuronen reagieren schneller als der Blitz.
Solche Unstimmigkeiten spürt das Publikum meist unbewußt. Es bekommt mit, daß etwas nicht stimmt, und ist irritiert, ohne auf Anhieb den Grund erkennen zu können. Auf diese unsanfte Weise wird es aus der Story katapultiert ...

Die oder der Lesende auf der Bühne allerdings wundert sich, weil sie oder er nicht nachvollziehen kann, was nun falsch gelaufen ist. Je realistischer und je szenischer ein Werk verfaßt worden ist, desto höher ist das Risiko.
Gemeinerweise fällt dieser Schnitzer auch beim x-ten Korrektur lesen nicht auf. Falls ein Lektor das liest, wandert das Manuskript jedoch ohne viel Federlesens auf den Stapel der abgelehnten Einsendungen.

Das einzige Mittel dagegen: selber machen.
Es muß euch ja niemand über die Schulter schauen.
Versetzt euch während des Schreibens in eure Figuren und ahmt diese in Gedanken nach. Stellt euch die Bewegungen räumlich vor. Macht sie nach und achtet darauf, ob die Gesten so funktionieren, wie ihr euch das imaginiert hab. Ihr könnt so oft probieren, wie ihr wollt. Ihr dürft nur nicht zu früh aufgeben.
Entweder eure Figur bewegt sich im normalen Rahmen - oder sie verrenkt sich ihre Knochen, dann muß sie irgendwie reagieren.

Zeichner und Maler benutzen Modelle als anatomisch korrekte Vorlage. Fachgeschäfte für Künstlerbedarf haben für gewöhnlich Gliederpuppen und Gliederhände im Sortiment.

Diese Ebene des Erzählens sollte auch bei anderen Lebewesen beachtet werden, die unter Umständen häufiger in eurer Geschichte vorkommen: also vor allem Pferde und Esel, Hunde und Katzen.
Es klingt abwegig, aber manchmal erweist sich ein Besuch auf dem Pferdehof als unerläßliche Fortbildung, wenn jemand eine historische Geschichte erzählen will.

Servalan 31.07.2016 16:36

Sprachmusik, Sprachkritik, Sprachkunst
 
Worte haben nicht nur Bedeutungen, jede Suílbe hat ihren eigene Klang und der ändert sich je nach Syntax. In der richtigen Reihenfolge prägt sich eine Sentenz durch die Wortmelodie besser ein als in einem Satz, der einfach so aus dem Mund kommt.

In Post #3 hatte ich einen dicken Band über die Sprache zitiert, der auf unterhaltsame Weise in die Grundlagen der Linguistik einführt:
Zitat:

Zitat von Servalan (Beitrag 503828)
  • Douglas R. Hofstadter: Le Ton beau de Marot: In Praise of the Music of Language (Basic Books, New York 1997 und Bloomsbury Publishing Plc, London 1997 - 832 Seiten)

Wer Sprache mag, und das sind in der Kindheit die meisten, erkundet sie spielerisch und hatte seine Freunde an Wortspielen und ausgedachten Geheimsprachen. Selbst die Muttersprache ist jedoch ein so gewaltiges Terrain, daß sich jemand darin verlaufen kann.
Eltern sind hier im Vorteil. Mütter und Väter können ihren Kindern Bücher vorlesen, die kalauernd und kindlich vorbehaltlos in die Muttersprache(n) einführen.

Sprache kann aber auch dazu benutzt werden, mit zahlreichen Worten nichts zu sagen oder Bedeutungen in ihr Gegenteil verkehren (Euphemismen): aus einer "Müllhalde" wird dann ein "Wertstoffpark" ...
Der Psychologe Prof. Reiner Mausfeld (siehe online-Vorträge in Post #88) macht auf diese Techniken aufmerksam. Wer selber Geschichten verfaßt, kann diese Tricks und Kniffe einsetzen, um Informationen subtil zu vergeben. Dadurch sind diese Hinweise für das Publikum zwar anwesend, können jedoch bei der ersten Lektüre überlesen werden, um im Rückblick (oder bei der zweiten Lektüre) umso überzeugender zu wirken.

Die Sprachen der Welt unterscheiden sich voneinander, weshalb sich verwandte mit einiger Kombination entschlüsseln lassen. Trotzdem ist Vorsicht geboten, weil ähnlich klingende Worte manchmal etwas komplett anderes bedeuten können (dt. 'brav' vs. engl. 'brave' zum Beispiel).
In Grammatik und Syntax gibt es allerdings gewaltige Differenzen.
Jede hat ihre starken und ihre schwachen Seiten.
Natürlich spielt auch die Geschichte eine Rolle, düstere Epochen fordern Sprachkritik heraus - siehe Victor Klemperer, Karl Kraus und George Orwell.

Die empfohlenen Lektüren verstehe ich als Beispiele. Es steht euch frei, euch Titel oder Ausgaben zu suchen, die leichter lieferbar oder günstiger sind bzw. euch besser gefallen.
Hier eine kleine Liste zum Weiterlesen:
  • Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität, Kösel Verlag 1970, 347 Seiten (erstmals als Aufsätze erschienen, 1902-1907) - Gutenberg-DE
  • Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen – Lingua Tertii Imperii. Die Sprache des Dritten Reiches, Reclam Leipzig 1991, 303 Seiten (erstmals 1947)
  • George Orwell: "Appendix: The Principles of Newspeak", in: George Orwell: 1984, 68. Auflage, New American Library 1983, insgesamt 268 Seiten, hier S. 246-256 (diese Fassung enthält ein Vorwort von Walter Cronkite und ein Nachwort von Erich Fromm - erstmals 1949)

Servalan 05.08.2016 17:07

Wortwahl, Wortwitz, Wortspiel
 
2006 habe ich in einer Lesung folgende Zeilen zum besten gegeben, die wenige Wochen bei einer Schreibübung (Thema: "Stein") den Weg aufs Papier gefunden haben:

Ein Stein
Einst Ein
Einstein


Damit das Stück wirkt, muß jede Silbe richtig betont werden. Dieses Beispiel zeigt, daß neben dem geschriebenen Text das Sprechen wichtig wird.
Für gewöhnlich sollte das Werk langsam, aber zügig vorgelesen werden.

Auf diese Weise bleibt das Publikum in der Geschichte bzw. im Werk und kann es genießen. Sich die Zeilen selbst laut vorzulesen, kann helfen, Schwächen oder Fehler aufzuspüren: beispielsweise wenn die Reihenfolge mehrerer Handlungen einer Figur den Lesefluß bremst, weil das Publikum das Geschehen nachträglich in Gedanken neu ordnen muß.
Ist das beabsichtigt? Oder muß das korrigiert werden?
Wie ihr die Frage beantwortet, hängt davon ab, was ihr mit eurem Werk erreichen wollt.

Klare Grenzen gibt es in der Literatur selten, und hier beginnt eine Grauzone, in der sich die Lesung zu verwandten Künsten öffnen: Poetry Slam, Spoken Word Performances, Monodramen (Ein-Personen-Stücke), Rap, Hip Hop und experimentelle Erkundungen der Sprache und des Sprechens.

Klassiker in diesem Bereichen sind zum Beispiel die Werke der Wiener Gruppe, deren berühmteste Vertreter wohl das Ehepaar Friedericke Mayröcker und Ernst Jandl sowie H.C. Artmann waren.
  • Ernst Jandl: schtzngrmm (Gedicht 1957)
  • Ernst Jandl: wien: heldenplatz (Gedicht 1962)
  • Ernst Jandl: ottos mops (Gedicht 1963)
  • Ernst Jandl und Friederike Mayröcker: Five Man Humanity / Fünf Mann Menschen (Hörspiel SWF 1968)
  • H.C. Artmann: Die Sonne war ein grünes Ei (Residenz Verlag 1982, Schöpfungsmythen)
Vorläufer finden sich in den künstlerischen Avantgarden nach dem (Ersten) Weltkrieg, in dem sich zum Dada und Surrealismus von den gewohnten Mustern der Sprache abkehrten, um das Trauma zu verarbeiten.
Kurt Schwitters' Ursonate oder Sonate in Urlauten (1923-1932, verschiedene Fassungen) erzeugt heute noch eine Gänsehaut.

Diese Methode wirkt wie ein Brennglas, unter dem Strukturen der Sprache hörbar und erkennbar werden, die im Alltag verborgen bleben.
Parodien, Pastiches und Hommagen ähneln Karikaturen, indem sie bestimmte Merkmale der Prosa oder Lyrik überspitzen und überdeutlich werden lassen.

Zum Weiterlesen empfehle ich:
  • Robert Neumann: Mit fremden Federn (Engelhorn 1927), 2 Bände, in denen hauptsächlich die Autoren der damaligen Gegenwart durch den Kakao gezogen werden. Das Spektrum reicht von Giganten der Hochkultur wie den Brüdern Heinrich und Thomas Mann über Bestsellerautoren wie Felix Salten und Hanns Heinz Ewers bis zu Sachbuchbestsellern wie Sigmund Freund und Friedrich Nietzsche.
  • Mechthilde Lichnowsky: Worte über Wörter (Berglandverlag 1949) - Lichnowsky steht in der Tradition ihres Landsmannes Karl Kraus. Ihre Glossen über die Sprache sind Zeitkapseln, die zeigen, wie sie die jeweilige Gegenwart in der Sprache spiegelt.

Servalan 09.08.2016 15:25

Die Geschichte des Buches in fünf Minuten
 
Julie Dreyfuss: The evolution of the book (TED-Ed Lessons)
Animationslehrfilm mit deutschen Untertiteln (4:17 min), Regie: Patrick Smith
http://ed.ted.com/lessons/the-evolut...reyfuss#review

Was macht ein Buch zum Buch? Was macht das Wesen eines Buches aus?
Julie Dreyfuss gibt einen Überblick über die Geschichte des gedruckten Mediums und beleuchtet schlaglichtartig Aspekte von beweglichen Lettern über den Datenträger (Holz, Pergament, Papier) bis zum Umschlag und zum Buchrücken.

Anregend.

Servalan 19.08.2016 14:30

Literarisches Schreiben studieren? Lohnt sich das?
 
Die meisten Verlage beklagen sich über unverlangt eingesandte Manuskripte.
Grundsätzlich sind die Plätze sind für belletristische Beiträge begrenzt, und wer veröffentlichen will, muß zunächst andere von seiner oder ihrer Qualität überzeugen. Das gelingt nicht immer.
Außerdem ist das Niveau mittlerweile recht hoch, weswegen auch hochwertige Manuskripte durch das Raster fallen. Es gibt eben weniger aussichtsreiche Plätze auf dem Buchmarkt als Kandidaten für den Slot.

Wer Tante G. suchen läßt oder sich durch Zeitschriften und Anthologien schmökert, stolpert früher oder später auf Anzeigen, in denen ein Fernstudium beworben wird. Mir kam diese aufdringliche Werbung immer suspekt vor, denn wenn die wirklich so gut gewesen wären, wie sie behaupten, hätten sie diese Masche nicht nötig gehabt. In dem Fall hätten sie nämlich mit den Namen derjenigen werben können, denen der Durchbruch zumindest zeitweise gelungen ist.

Im deutschsprachigen Raum gibt es einige feine Studiengänge, an denen literarisches Schreiben studiert werden kann (Universitäten Leipzig, Hildesheim, Wien und Bern). Manche der dort unterrichtenden Professoren wie zum Beispiel Hanns-Josef Ortheil sind gut im Literaturbetrieb verankert, und etliche der Studierenden ernten ihren Lorbeer bei renommierten Wettbewerben wie dem Open-Mike in Berlin oder dem Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.
Ansonsten wird an Hochschulen Kreatives Schreiben gelehrt, damit wissenschaftliche Texte für ein interessiertes Publikum lesbar werden und bleiben - wie die Vorbilder aus dem angelsächsischen Unibetrieb.

Mein Studium der Neueren Deutschen Literatur (sprich nach Goethe) und Medien (also plus Kino und Fernsehen) hat mir in einigen Bereichen die Augen geöffnet. Das war allerdings ein Nebeneffekt. Dieses Fach kann auch jemand studieren, der keine Gedichte, Erzählungen oder Dramen verfaßt (das sind die meisten).

Wer wirklich mit Herzblut schreibt und von der Materie nicht lassen kann, hat heute eigentlich alle Mittel, um sich die Kenntnisse und Fähigkeiten selbst anzueignen. Allein dauert das natürlich länger als im Studium, und Tutoren oder Mentoren können über den einen oder anderen Frust weghelfen oder trösten. Aber sich selbst motivieren zu können, das ist unerläßlich.

Nach meiner Studienordnung mußte ich insgesamt drei Fächer belegen. Durch die Kombination ergänzten sich Methoden und Herangehensweisen, so daß sich ein größeres Ganzes ergab. Das Wissen aus dem einen Fach kommentiert das Wissen aus den beiden anderen.

Im Grunde beschränkt sich das Prinzip Literatur studieren auf folgende Punkte:
  • Verschaffe dir einen Überblick über das, was du tun willst. Was gibt es schon? Wie hat sich Literatur im Laufe der Geschichte gewandelt?
  • Blicke über den Tellerrand hinaus: Ohne gewisse geschichtliche Kenntnisse, lassen sich bestimmte Entwicklungen nicht verstehen. Wie ticken Menschen im allgemeinen? Wie verhalten sie sich in bestimmten Situationen?
  • Jeder Mensch hat bestimmte Neigungen. Such dir ein spezielles Thema heraus und arbeite dich in die Materie ein. Mach dich ein halbes Jahr zum Experten für eine bestimmte Fragestellung.
  • Eigne dir über drei bis fünf Jahre mindestens drei solcher Expertenthemen an. Bleibe dort auf dem Laufenden. Unterhalte dich mit Fachleuten, lies Fachliteratur und verfolge aufmerksam, wie sich das Fach verändert.
Diese selbstgestellte Aufgabe regt an, hält das Hirn jung und liefert en passant auch reichlich Ideen für Geschichten, die geschrieben werden wollen.

Servalan 25.08.2016 20:45

Telekolleg Deutsch: Sprache, Literatur und Medien
 
Einen gewissen Einblick sollte das im Fach Deutsch gepaukte und erarbeitete Wissen geben, also einen groben Überblick über die Epochen der Literaturgeschichte, die Titel der wichtigsten Klassiker und ihre Verfasser und ähnliches.

Zu meiner Schulzeit führten andere Medien jenseits des Buches eher ein Schattendasein. Die einzige Ausnahme bildete das Theater des Sturm und Drang sowie die Klassik (das bürgerliches Trauerspiel war besonders beliebt).
Ich hoffe, da hat sich mittlerweile einiges getan. Meist reichen diese Grundlagen jedoch nur für eine Orientierung, die dabei helfen, am richtigen Ort nachzuschlagen und das Gewünschte rasch und zügig zu finden.

Wie sich der Buchmarkt mit den anderen Medien entwickelt hat, das dürfte Autoren in spe interessieren. In der Schule und auf der Universität spielt das eine geringere Rolle als in der Ausbildung des Buchhandels, des Bibliothekswesens und der Archive.
Die einzige Ausnahme bildete ein Seminar über Christian Heinrich Spieß' Erfolgroman aus der Goethezeit, Das Petermännchen (1791), den wir nach allen Regeln der Kunst genüßlich in seine Einzelteile zerlegt haben.

Deshalb halte ich es für ein Glücksfall, daß der Bayerische Rundfunk das gesamte Telekolleg Deutsch: Sprache, Literatur und Medien kostenlos bei vimeo online gestellt hat.
Das Telekolleg teilt sich in drei Trimester zu je 13 Folgen (jede dauert knapp 30 min) aus, insgesamt 39 Folgen (der Link führt jeweils auf die erste Folge des Trimesters):Die Sendereihe ist über zehn Jahre alt, deswegen bedeckt leichter Staub das, was damals als aktuellste Entwicklung gegolten hat.

Nichtsdestotrotz eignet sich das Telekolleg vorzüglich zum Auffrischen.

Hondo 18.09.2016 18:36

Zur Motivation: Ich denke viele Menschen erfinden gerne Geschichten, so haben ja unzählige Hobbyautoren über diese Selbstverlage beachtlichen Erfolg mit Regionalkrimis. Andere Menschen, so wie mir, tut es gut, selbst Erlebtes über ein Buch zu verarbeiten. "Wen interessiert schon eine einzelne Lebensgeschichte?" Sehr viele, wohlgemerkt! Durch mein Buch "Der schwarzen Wölfe Schrei" reflektierten sich schon einige Menschen und bestätigten mir, dass ihnen das Buch weitergeholfen hat, sich selbst zu erkennen. Bücher unterhalten, Bücher können helfen. Bücher können verändern. Menschen, unter Umständen die Welt. Und wie immer gilt: zum Bösen oder zum Guten!

Servalan 27.09.2016 14:30

J.R.R. Tolkien, ein Meister der Sprache
 
Einige der interessantesten und anspruchsvollsten kurzen Werke habe ich bei Lesungen von Amateuren gehört, die Belletristik teilweise therapeutisch für sich genutzt haben. Es tat gut, etwas zu schreiben. Es tat gut, die eigene Schöpfung vor Publikum zu lesen.

Dieser scheinbar mindere Status sollte nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass diese Autoren ohne Zertifikat oder anderen Nachweis häufig harte Ansprüche an sich stellen.
Sprache kann sich leicht in ein mehrdimensionales Labyrinth verwandeln, in dem sich Autoren verirren und verlaufen können. Denn die Arbeit an der Sprache und mit der Sprache erfordert einen hohen Einsatz, er kostet nämlich eine Menge Zeit, Schweiß und häufig auch Tränen - bis etwas wirklich als gelungen empfunden wird. Erst dann kann es abgeschlossen werden.

Wer heute ein Publikum finden will, muß seine Erzählstimme gestalten und sie mit der Figurenperspektive abstimmen. Wehe, alle Figuren hören sich gleich an; und wenn sie fadenscheinige Meinungen des Autors predigen, landet das Manuskript im Altpapier.

William Morris (1834-1896) wollte zunächst Priester werden, bevor er das künstlerische Leben nicht nur in Großbritannien prägte. Morris hatte wie Wagner (mit seinem Gesamtkunstwerk) einen breiten Kunstbegriff, der alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs erfaßte - ein Vorläufer von Art Déco, Jugendstil, Bauhaus und dem modernen Design. Deswegen zählt er zu den Gründern der Arts and Craft Bewegung, die handwerkliche Fähigkeiten über alles schätzte, wobei er stark von sozialistischen Ideen beeinflußt wurde.

Wenig verwunderlich hinterließ er ein breites schriftstellerisches Werk. Darunter befinden sich zwei Romane, A Tale of the House of the Wolfings, and All the Kindreds of the Mark Written in Prose and in Verse (1889) und The Roots of the Mountains (1890), in denen er das Leben eines bronzezeitlichen Stammes in Europa schildert, der sich das Römische Imperium wehrt.
Perry beschreibt in seinem Vorwort, wie Morris sich über Brief eines zeitgnössischen Archäologen mokiert, der Morris für seine Schilderung in den höchsten Tönen lobt und ihm weismachen will, exakt so wäre das Leben in der Bronzezeit gewesen. Morris kann über die schreckliche Naivität des Wissenschaftlers bloß schmunzeln, weshalb er ihm sinngemäß antwortet: "Hallo, aufwachen! Ich habe mir das bloß ausgedacht. Gut, du bist auf meine Fiktion hereingefallen. Aber ich weiß nicht, wie das damals gewesen ist!"

Morris gehört zu den Vorbildern von C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien.
Aragorn und die Reiter von Rohan verdanken den germanischen Kriegern von Morris allerhand.
Weil die Gestaltung eines Stoffes unheimlich wichtig sind, können über einem Manuskript leicht zehn oder mehr Jahre ins Land gehen.
Ich bin zwar kein Tolkien-Hardcore-Fan, dennoch schätze ich ihn. Seine fundierte Kenntnis von Geschichte und Mythen kommt nicht von ungefähr. Doch seine Vorlesungen zeigen, was für eine Mühe es ihn gekostet hat, so leicht lesbar zu werden. Die einzelnen Vorträge aus verschiedenen Teilen seiner akademischen Karriere belegen, wie sich seine Sprache unterderhand wandelt.

Obwohl seine Antrittsvorlesung nur schriftlich vorliegt, zeigt sie, wie nervös er er gewesen sein muß und daß er bloß nichts falsch machen wollte. Deshalb wirken manche Erklärungen und Erläuterungen recht unbeholfen und sind für Laien nur mit Mühe verständlich. Tolkien wurde in den Kreis der Experten aufgenommen, indem die Fachsprache der Experten sorgfältig nutzte.
Je älter Tolkien wird, umso fester sitzt er im Sattel. Er kennt seinen Stoff inzwischen gut genug, weshalb er freier formulieren kann. Wenn Tolkien zur Höchstform aufläuft, kann er sogar mit einem Fachvortrag ein Publikum aus gewöhnlichen Menschen begeistern und für sein Wissen interessieren.
Sein Wissen ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

Zur Illustration ein Beispiel aus Der Herr der Ringe:
Im Original warnt Sam Frodo vor ihrem Begleiter Gollum, indem er sagt: "He's a villain." Klar, natürlich ist Gollum ein Bösewicht.
Tolkien schafft in seiner High Fantasy einen Gründermythos des neuzeitlichen England, wobei er sich auf die Herrschaft von Queen Elizabeth I. (1533-1603) bezieht. Im Englisch dieser älteren Sprachstufe bedeutet "villain" jedoch auch "Diener".
In Sams Warnung schwingt also untergründig die Warnung mit, dass Gollum ein Diener des Rings geworden ist, ein Diener Saurons, ein Diener des Bösen schlechthin.
Dieser Sachverhalt wird später wichtig, wenn Sam in Mordor fragt, ob er auch mal den Ring tragen dürfte. Schon der bloß am Faden baumelnde Ring am Sams Brust ist gefährlich, weil er seinen Träger sogar in dieser Lage verführen kann.
  • J.R.R. Tolkien: The Monster and the Critics and Other Essays [The Essays of J.R.R Tolkien], hrsg. von Christopher Tolkien, 10. Auflage, Harper Collins Publishers 2006 [erstmals Allen & Unwin 1983]
  • Michael W. Perry: "Foreword: William Morris and J.R.R. Tolkien", in: William Morris: The House of the Wolfings. A Book that Inspired Tolkien, Inkling Books 2003, hier S. 7-12

Servalan 04.11.2016 15:49

Zwei Vorträge von Aleida und Jan Assmann
 
Auch wenn die mitgezeichneten Vorträge und Vorlesungen nicht direkt etwas mit Schreiben und Veröffentlichen zu tun, möchte ich dennoch auf sie hinweisen.
In den beiden Videos geht es um die Themen Sprechen, Schreiben und Schrift (Jan Assmann) sowie um den komplexen Vorgang des Erinnerns und Vergessens (Aleida Assmann).

Geschriebene Geschichten und Texte müssen irgendwie präsentiert werden.
Dadurch wird die Schrift auf eine bestimmte Weise geordnet und es ergibt sich ein Schriftbild (Layout). Hinzu kommen noch verschiedene Schriftsysteme, so dass die Sache für Laien ziemlich unübersichtlich werden.
Im Rahmen der Vorlesungsreihe Iconic Turn der Felix Burda Memorial Lectures (Hubert Burda Stiftung) referierte der Kulturwissenschafter Jan Assmann über die Entstehung der Schrift:

Prof. Dr. Jan Assmann: Frühzeit des Bildes - Der Iconic Turn im Alten Ägypten
https://www.youtube.com/watch?v=-TGTN4NFYWw (2:04 Stunden)


Zu verschiedenen Zeitpunkten und unter verschiedenen Zeitpunkten erinnern und vergessen Menschen etwas anderes.
Dieser dynamische Prozess erstreckt sich natürlich ebenfalls auf höhere Ebenen, also auf Gruppen und Gesellschaften. Biographie und historische Erinnerung / Vergessen verknoten sich zun einem unauflösbaren Zopf.

Stiftung Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur. Vorlesungsreihe 2015
Stiftungsprofessur 2015: Aleida Assmann: Formen des Vergessens (Johannes Gutenberg Universität Mainz 30.06.2015)
https://www.youtube.com/watch?v=TSsmErEUwEk (59 min)

Servalan 30.12.2016 17:27

Wachstumsschmerzen?
 
Zwar gibt es in der Literargeschichte etliche Autoren von Weltrang, die sich fast auschließlich auf kürzere Formen beschränkt und es darin zur Meisterschaft gebracht haben, meist ließ sich jedoch kein Blumentopf gewinnen.
Publikum und Verlage bevorzugen Romane, durch die sich ein Autor zur eigenen Marke entwickeln kann. Romane werden am häufigsten besprochen, und die Preisgelder sind relativ üppig, so daß etwas übrig bleibt.

Allerdings schreiben sich Romane nicht von selbst.
Sie verlange eine trainierte Kondition wie im Spitzensport, weil ein gewisses sprachliches Niveau über mehrere Wochen, Monate und manchmal Jahre durchgehalten werden müssem. Das muß um eine traumwandlerische Präzision ergänzt werden, die Sachverhalte auf den Punkt bringt, die Spannung hält und den gewünschten Effekt (häufig Identifikation mit der Hauptfigur) beim Publikum erzielt.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich an die anspruchsvollen Formate heranzutasten: Gelungene Figuren aus einer Kurzgeschichte, können in einer anderen aufgegriffen werden. Mehrere Kurzgeschichten können durch einen bestimmten Rhythmus (zum Beispiel Feiertage oder Geburt-Hochzeit-Tod) zu einer Einheit verklammert werden.
Solange die erzählerischen Kapitel für sich allein stehen können, machen sie keine Probleme. Bei einer komplexen Novelle oder längeren Erzählung wird das schon schwieriger. Für Lesungen oder (Vor-) Veröffentlichungen müssen gewisse Passagen ausgewählt werden, die ähnlich wie Kurzgeschichten funktionieren.

Wer sich die Länge erobert, ohne Verpflichtungen wie Lesungen zu haben, muß bloß aufpassen, dem Zugang zum Stoff des Manuskripts nicht zu verlieren.
Je dichter der Terminkalender mit Auftritten gepflastert ist, desto eher können Probleme auftauchen. Besonders am Anfang verlangen längere Manuskripte die ungeteilte Aufmerksamkeit der oder des Schreibenden.

Bei mir waren das zum Beispiel acht bis zwölf Normseiten, für die beim ersten Anlauf ein ganzes Jahr gebraucht habe. Zwei oder drei Jahre später habe ich für achtzig Normseiten immer noch ein halbes Jahr Blut und Wasser geschwitzt. Nach vier oder fünf Jahren hatte ich mich freigeschrieben, und die Länge war kein Hindernis mehr.

Teilweise überschnitt sich die letzte Phase mit meiner ersten Hochphase, in der ich teilweise jeden Monat einen Auftritt hatte. Mein Publikum dort konnte ich nicht vertrösten: "Mein Kopf ist dicht, deshalb habe ich keine neuen Texte." Damit hätte ich das Publikum verprellt.
Also brauchte ich kreative Lösungen für frische kurze Belletristik.

In einem Notizbuch (oder Blog) habe ich knackige Oneliner gesammelt. Allerdings eignen sich die nur für die letzte Zugabe.
Mit den Miniaturen am Seitenrand sollten sich über mittlere Sicht schon einige Minuten füllen lassen. Wer aus der Lyrik kommt, dürfte sicher im Vorteil sein.

Ich habe meine Verlegenheit mit einer Schreibübung kombiniert.
Gerade bei längeren Texten sollten Satzbau, Sprachstil und Rhythmus variiert werden: Wiederholungen dürfen zwar vorkommen, sie sollten aber einen Zweck erfüllen (simpler oder cholerischer Charakter, verfahrene Situation ...).

Deshalb habe ich versucht, Stories auf einen Absatz zu konzentrieren.
Beim dritten oder vierten Mal habe ich den Schwierigkeitsgrad erhöht: Das Geschehen mußte sich zu einem einzigen Satz verdichten. Durch Nebensätze, Appositionen und andere Einschübe, habe ich die drei bis fünf Zeilen inszeniert und dramatisiert.
Wann erfährt das Publikum welchen Sachverhalt? Worin liegt die Pointe? Welche Perspektive beleuchtet das Geschehen am besten?
(Einige meiner Fotoalbum-Episoden wurden gedruckt oder fanden bei Lesungen ihr Publikum.)

Was bei euch am besten funktioniert, müsst ihr selbst herausfinden.
Wichtig ist nur, immer Material für Lesungen oder Einsendungen in petto zu haben.
Wehe, ihr werdet kalt erwischt. Das könnte nämlich peinlich werden.
Deshalb gilt hier der Spruch der Pfadfinder: "Be prepared! - Seid bereit!"


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